Das Geheimnis von Melody House
sich nur erweichen lassen, weil er dringend das Geld zur Instandhaltung von Melody House brauche. Und vielleicht hatte Roger damit sogar Recht – so ein altes Haus verschlang bestimmt Unsummen an Instandhaltungskosten. Aber vielleicht war es ja auch eine Mischung aus den sich für Stone ergebenden Notwendigkeiten und ihren mit Charme gepaarten Überredungskünsten gewesen, wer konnte das schon so genau sagen? Und egal wie, auf jeden Fall hatte es geklappt, und jetzt passte alles wunderbar zusammen. Jeannie interessierte sich brennend für Geschichte, und dass sie ihre Hochzeitsnacht an einem so geschichtsträchtigen Ort verbringen durfte, war wie das kunstvollste Sahnehäubchen auf dem herrlichsten Kuchen der Welt. Sie schob die Vorhänge einen Spalt auseinander und kostete das sinnliche Gefühl aus, die leichte Brise auf ihrer nackten Haut zu spüren. Sie war jetzt eine verheiratete Frau. Mrs. Thomas. Wenn sie wollte, konnte sie sich sofort wieder ins Bett legen, ihren Ehemann wecken und mit ihm jede erotische Fantasie, die ihr in den Sinn kam, ausleben.
Nichtsdestotrotz …
Sie erschauderte. Mit einem Mal war es gar nicht mehr ganz so köstlich, die kühle Luft auf der Haut zu fühlen. Eine eisige Kälte umwehte sie, die ihr durch und durch ging. Sie wirbelte auf dem Absatz herum, aber in dem schwachen Lichtschein, der aus dem Bad fiel, konnte sie nichts entdecken.
Sie verspürte …
Angst. Eine tief sitzende, irrationale Angst.
Jeannie schluckte und beeilte sich, die Balkontür zu schließen und von innen zu verriegeln. Sie schaute zu Roger. Er schnarchte immer noch leise vor sich hin. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Wenn sie Angst hatte, brauchte sie sich nur schnell wieder neben ihn ins Bett zu legen, dann würde er sie in den Arm nehmen und festhalten, und alles wäre gut.
Und genau das sollte sie jetzt tun.
Aber sie tat es nicht. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Da war doch etwas …
Eine silbrige Bewegung in der Dunkelheit des Raumes.
Sie blinzelte, aber das, was sie sah, verschwand nicht. Und das lag nicht an der Dunkelheit oder an der Widerspiegelung der Lichter oder an einer Kombination aus beidem. Da war irgendetwas, vage im Umriss, silbrigweiß schimmernd, das sich bewegte und ständig seine Form veränderte. Es stieg aus ihrer Seite des Bettes empor und kam auf sie zu.
Panik schnürte ihr die Kehle zu. Sie öffnete den Mund zu einem Schrei, aber sie brachte keinen einzigen Ton heraus. Mit kalkweißem Gesicht starrte sie auf die Erscheinung und stieß erstickte leise Laute aus, während sie verzweifelt versuchte, ihre Stimme wieder zu finden. Es kam näher und näher und dann – ihr gefror das Blut in den Adern.
Jetzt berührte es sie. Sie spürte, dass sich ihr Haar bewegte … Kälte schlug ihr ins Gesicht, und sie hätte schwören mögen, dass sie ein spöttisches, verächtliches Flüstern vernahm: “Du dummes, kleines Mädchen. Er wird dich töten!”
Und dann … ihr Haar … es hob sich erneut, während sie selbst wie gebannt auf diese silbrige Erscheinung starrte. Eine Erscheinung, die flüsterte und sich im Wind bewegte. Aber da war gar kein Wind. Sie hatte die Balkontüren geschlossen.
Endlich fand sie zu Stimme, Beweglichkeit und Energie zurück. Sie stieß einen gellenden Schrei aus und rannte los.
Allerdings nicht zum Bett und zu Roger, sondern geradewegs zur Tür, an der sie so heftig zog, dass sie fast den Knauf abriss. Gleich darauf flog die Tür auf und donnerte gegen die Wand, aber Jeannie achtete nicht mehr darauf. Sie schrie immer noch, während sie wie von wilden Furien gehetzt den breiten Treppenaufgang hinunterrannte.
Matt Stone war vor der Ankunft seiner Pensionsgäste vorübergehend in das kleine Wirtschaftsgebäude umgezogen, das ungefähr fünfzig Meter vom Haupthaus entfernt lag. Dort hatte er früher schon gewohnt, doch dann war sein Großvater gestorben und hatte ihm Melody House samt der damit verbundenen Verantwortung hinterlassen. Nachdem er sich anfangs gesträubt hatte, fühlte er sich inzwischen in dem alten Gemäuer recht wohl. Die Mastersuite, in der er sich eingerichtet hatte, war mit dem großen Schlafzimmer, dem Bad und Ankleidezimmer, einem Arbeitsbereich plus dem Salon ausgesprochen komfortabel.
Er war gerade fest eingeschlafen, als er von einem gellenden Schrei geweckt wurde. Aufgeschreckt fuhr Matt hoch und sah sich hektisch um.
Obwohl es in ihrem kleinen Städtchen normalerweise ruhig zuging, war er als Sheriff von Stoneyville daran
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