Das Geheimnis von Orcas Island
Er sehnte sich danach, dort zu sein, auf das Bett zu sinken, in sie hineinzusinken, und beide sich vergessen zu lassen.
Aber sie hatte um Zeit gebeten. Er wollte ihr nicht verwehren, was er selbst brauchte. Und während der Zeit, die er ihr gewährte, wollte er all sein Geschick auf die eine Sache verwenden, die er für sie zu tun verstand. Er wollte ihre Unschuld beweisen.
Am folgenden Morgen beobachtete Ronald die Abreise der Reisegruppe. Er stand auf einer Stehleiter mitten in der Eingangshalle und ließ sich Zeit beim Auswechseln der Glühbirnen in der Deckenleuchte. Die Sonne war herausgekommen, voll und strahlend, und tauchte den Raum in helles Licht.
Am Empfang plauderte Charity mit Block. Er trug ein frisches weißes Hemd und sein ständiges Lächeln. Er nahm einen Taschenrechner aus der Brieftasche und prüfte, ob ihre Berechnungen mit seinen übereinstimmten.
Bob kam aus dem Büro und reichte ihr einen Computerausdruck. Ronald entging nicht der schnelle, unsichere Blick, den Bob in seine Richtung sandte, bevor er sich wieder zurückzog.
Charity und Block verglichen Listen. Immer noch lächelnd, nahm er ein Bündel Geldscheine aus der Brieftasche. Er bezahlte in kanadischer Währung, bar. Sie verschloss das Geld in einer Schublade und reichte ihm die Quittung.
»Ihre kleine Party gestern hat den Tag gerettet«, sagte er ihr. »Meine Leute betrachten ihn als Höhepunkt der Reise.«
Erfreut lächelte sie ihn an. »Danke, Roger.«
»Einige Gäste werden deshalb wiederkommen.« Er tätschelte ihre Hand, blickte dann zur Uhr. »Es wird Zeit zum Aufbruch. Wir sehen uns nächste Woche.«
»Gute Fahrt, Roger.« Charity wandte sich ab, um einigen abreisenden Gästen Postkarten und ein paar Schlüsselanhänger mit Miniatur-Walen zu verkaufen.
Ronald schraubte die Kuppel der Deckenlampe wieder an und ließ sich dabei Zeit, bis die Eingangshalle leer war.
»Ist es nicht seltsam für eine Reisegesellschaft, bar zu bezahlen?«
Charity blickte zu ihm auf. »Wir lehnen niemals Bargeld ab.« Sie lächelte ihn an, wie sie es sich vorgenommen hatte. Meine Gefühle sind mein Problem, erinnerte sie sich, während er von der Leiter stieg. Sie wünschte nur, die Stunden der Seelenforschung in der vergangenen Nacht hätten zu einer Lösung geführt.
»Ich hätte eher erwartet, dass per Überweisung oder Scheck bezahlt wird.«
»Es ist nun mal deren Firmenpolitik. Und glaub mir, für ein kleines, unabhängiges Hotel ist ein bar zahlender Kunde wie ›Vision Tours‹ sehr wichtig.«
»Das kann ich mir denken. Hast du schon lange mit ihnen zu tun?«
»Ein paar Jahre. Warum?«
»Reine Neugier. Block sieht eigentlich nicht wie ein Reiseleiter aus.«
»Roger Block? Nein, sicher nicht. Er sieht wohl eher wie ein Ringkämpfer aus.«
Charity wandte sich wieder ihren Papieren zu. Es fiel ihr schwer, mit Ronald zu plaudern, während ihre Gefühle so nahe an der Oberfläche schwelten. »Er leistet gute Arbeit.«
»Aha. Ich bin dann oben.«
»Ronald?« Es gab so vieles, was sie sagen wollte, aber sie spürte, obgleich er nur wenige Schritte entfernt stand, dass er sich von ihr distanziert hatte. »Wir haben noch gar nicht über einen freien Tag gesprochen. Du kannst den Sonntag nehmen, wenn du möchtest.«
»Vielleicht werde ich es tun.«
»Und wenn du Bob am Ende der Woche deine Arbeitsstunden angibst, kümmert er sich um deine Bezahlung.«
»In Ordnung. Danke.«
Ein junges Paar mit einem Kleinkind kam aus dem Speisesaal. Ronald ging davon und ließ Charity deren Fragen über Bootsvermietung beantworten.
Es wird nicht leicht sein, mit ihm zu reden, dachte Charity später. Aber sie musste es tun. Den ganzen Vormittag über hatte sie sich geschäftlich betätigt. Sie hatte die Reinigung sämtlicher Zimmer überprüft, jedes Telefonat auf ihrer Liste geführt und sich Maes Bemerkungen zufolge in der Küche als Nervensäge betätigt.
Sie versuchte auszuweichen. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Ihr Leben lang war sie es gewöhnt, Probleme frontal in Angriff zu nehmen. Nicht nur in geschäftlicher Hinsicht. Persönliche Probleme war sie ebenfalls stets direkt angegangen. Sie hatte verkraftet, elternlos zu sein. Selbst als Kind war sie nie den manchmal schmerzhaften Fragen über ihre Herkunft ausgewichen.
Aber damals hatte sie ihren Großvater gehabt. Er war so verlässlich, so liebevoll gewesen. Er hatte ihr zu verstehen geholfen, dass sie eine eigenständige Person war. Ebenso wie er ihr über ihre erste Jugendliebe
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