Das Geheimnis von Sittaford
Wohlklang an.
«Pardon, können Sie mir vielleicht sagen, ob Exhampton irgendwelche Sehenswürdigkeiten zu bieten hat?»
Charles Enderby zeigte sich der Sachlage durchaus gewachsen.
«Eine Burg, obwohl ich mich nicht dafür verbürgen kann, dass die Besichtigung lohnt. Wenn Sie gestatten, werde ich Ihnen den Weg dorthin zeigen.»
«Das wäre außerordentlich nett», erwiderte das Mädchen. «Wenn Sie nicht zu beschäftigt sind…»
Sofort leugnete Enderby, irgendetwas vorzuhaben, und so machten sie sich gemeinsam auf den Weg.
«Sie sind Mr Enderby, nicht wahr?»
«Ja. Woher wissen Sie das?»
«Mrs Belling verwies mich an Sie. Mein Name ist Emily Trefusis… Ich brauche Ihre Hilfe.»
«Meine Hilfe…?»
«Ja. Sehen Sie, ich bin mit James Pearson verlobt.»
«Oh!» sagte Charles Enderby, und tausend journalistische Möglichkeiten stiegen vor seinem inneren Auge auf.
«Und die Polizei wird ihn verhaften. Ich aber weiß, dass James nichts mit dem Verbrechen zu schaffen hat, und um das zu beweisen, bin ich hierher gekommen. Aber allein fühle ich mich meiner Aufgabe nicht gewachsen; mir fehlt die männliche Unterstützung. Männer kennen Mittel und Wege, die einer Frau nicht offen stehen, wenn es darum geht, etwas herauszufinden.»
«Ja, ja, da haben Sie wohl Recht», meinte Mr Enderby selbstgefällig.
«Ich habe mir heute Morgen nacheinander alle Journalisten genau angesehen», erzählte Emily. «Ach, was für einfältige Gesichter haben doch die meisten! Sie erschienen mir als der einzig wirklich Gescheite.»
«Oh… da beurteilen Sie meine Kollegen aber ein wenig hart», wehrte Mr Enderby pro forma ab.
«Um es kurz zu machen: Ich möchte Ihnen eine Art Partnerschaft vorschlagen, die meines Erachtens beiden Seiten zum Vorteil gereichen wird. Ich muss gewissen Dingen nachspüren, wobei Sie als Journalist mir helfen können. Ich möchte…»
Emily zögerte. Was sie wirklich wollte, war, Mr Charles Enderby als eine Art Privatspitzel zu ihrer ureigensten Verfügung zu engagieren, damit er hinginge, wohin sie ihn schickte, damit er Fragen stellte, deren Antwort sie zu wissen begehrte, damit er die Rolle eines gefügigen Sklaven übernähme. Aber die kluge Emily war sich der Notwendigkeit bewusst diese Vorschläge in den Zuckerguss einer schmeichelhaften Formel zu kleiden. Sie, Emily Trefusis, wollte um jeden Preis der Meister bleiben, aber den Gesellen durfte man das möglichst nicht merken lassen.
«Ich muss das Gefühl haben, dass ich mich auf Sie verlassen kann», verbesserte sie daher den angefangenen Satz.
Wie verführerisch ihre Stimme klang! Und als sie zu Ende gesprochen hatte, quoll in Enderbys Männerbrust die Empfindung empor, dass diese liebliche, hilflose Maid sich bis zum Äußersten auf ihn verlassen könne.
«Sie Ärmste! Welch grässliche Stunden haben Sie durchlebt…!»
Und er nahm ihre Hand und drückte sie in heißem Mitgefühl. Doch dann meldete sich in ihm eine journalistische Gegenströmung. «Aber wissen Sie, ich bin nicht ganz Herr meiner Zeit. Ich meine, dass ich mich in Bezug auf meine Schritte nach den Wünschen meiner Zeitung richten muss.»
«Das habe ich sehr wohl bedacht, und damit kommen wir zum Kernpunkt des Ganzen», entgegnete Emily ihm. «Seien Sie versichert, dass ich für Sie das sein kann, was man eine Fundgrube nennt. Sie können mich jeden Tag interviewen. Sie können mir einen Wink geben, damit meine Aussage ganz dem Geschmack Ihres Leserkreises entspricht: ‹James Pearsons Braut›, ‹Das Mädchen, das leidenschaftlich an James’ Unschuld glaubt›, ‹Erinnerungen aus seiner Kindheit, die sie uns zur Verfügung stellt›. Zwar weiß ich nicht viel über seine Kindheit, Mr Enderby, doch das schadet ja nichts», fügte sie hinzu.
«Miss Trefusis, Sie sind wundervoll!», begeisterte er sich.
«Und dann», ergriff Emily rasch wieder das Wort, um ihren Vorteil zu nutzen, «stehe ich natürlich in Verbindung mit James’ Verwandten. Ich kann Sie dort als Freund von mir einführen, wo man Ihnen sonst die Tür vor der Nase zuschlagen würde.»
«Ja, dergleichen kenne ich», versicherte Mr Enderby eingedenk so mancher Niederlage in der Vergangenheit.
Welch herrlicher Ausblick öffnete sich ihm. Donnerwetter, wie das Glück ihm lachte! Erst dieser Zufall mit dem Fußballrätsel, und nun dies…!
«Abgemacht!» sagte er mit Nachdruck.
«Gut», sagte Emily und wurde kurz und geschäftsmäßig. «Was also zuerst?»
«Heute Nachmittag fahre ich nach Sittaford.»
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