Das Geheimnis von Sittaford
Miss Trefusis.»
«Gar keine. Dreist und unverschämt im Auftreten, hockt er am liebsten mit irgendwelchen Frauen in einer Ecke und schwätzt über Erotik. Wirkliche Männer verabscheuen ihn.»
«Also das ist unser Verdächtiger Nummer eins», sagte Enderby, ebenfalls in ein Büchlein kritzelnd. «Ich werde mich unter dem Vorwand eines Interviews dem ‹bekannten Schriftsteller, den mit dem Ermordeten verwandtschaftliche Bande verknüpfen›, nähern, um seinem Tun und Treiben am Freitag nachzuspüren. Recht so?»
«Ausgezeichnet!» lobte sie. «Weiter haben wir da Brian, James’ jüngeren Bruder, der sich, wie die Familie meint, in Australien aufhält. Doch weshalb soll er nicht zurückgekommen sein? Bisweilen kommen Leute in die Heimat zurück, ohne es anzukündigen.»
«Wie wär’s, wenn wir ihm ein Telegramm schickten?»
«Gute Idee. Jetzt Tante Jenny. Sie ist, nach James’ Erzählungen zu urteilen, ein prächtiger Mensch, dem ich das Verbrechen eigentlich nicht zutraue. Aber sehen Sie, Exeter liegt so nahe… Sie mag hinübergefahren sein, um ihren Bruder zu sprechen, und er mag irgendetwas Hässliches über ihren Gatten gesagt haben, den sie anbetet, und sie wiederum mag in ihrem Grimm den Sandsack ergriffen und den Verleumder des über alles geliebten Mannes damit zum Schweigen gebracht haben.»
«Glauben Sie wirklich?»
«Nein. Aber man kann nie wissen. Nun kommen wir zu Trevelyans Diener. Er erntet durch das Ableben seines Herrn freilich nur hundert Pfund und macht außerdem einen anständigen Eindruck. Aber ich wiederhole auch hier: Man kann nie wissen! Seine Frau ist Mrs Bellings, der redseligen Wirtin, Tochter. Mir scheint es angebracht, wenn ich nach meiner Rückkehr in die ‹Three Crowns› an Mrs Bellings Schulter ein bisschen schluchze, denn die Dicke ist offenbar eine mütterliche und romantische Seele. Sie wird mir schrecklich viel Mitgefühl entgegenbringen, weil mein Liebster im Gefängnis schmachtet, und vielleicht plappert sie dabei etwas Nützliches aus. Und dann, dürfen wir natürlich Sittaford House nicht vergessen. Wissen Sie, diese Willetts, die mitten im Winter Captain Trevelyans Haus – auch noch voll möbliert! – mieten, verdienen Beachtung.»
«Ja, es ist ein seltsamer Einfall, sich bei Schnee und Eis in Dartmoor zu verkriechen. Noch seltsamer allerdings ist diese spiritistische Sitzung. Ich werde darüber einen Artikel schreiben und anschließend die Meinungen einiger Autoritäten wiedergeben.»
«Was für eine spiritistische Sitzung?»
Mr Enderby schilderte die Szene seiner Bundesgenossin mit Begeisterung. Es gab nichts, was mit dem Mord zusammenhing, das er nicht bereits auf die eine oder andere Weise in Erfahrung gebracht hatte.
«Na, ist das etwa nicht seltsam?», schloss er. «Hokuspokus, oder tatsächlich eine Botschaft aus einer anderen Welt?»
Emily zog schaudernd die Schultern zusammen. «Ich hasse übernatürliche Dinge», flüsterte sie. «Und doch, es sieht nicht nach Schwindel aus. Aber wie… wie grausig!»
«Sehr zweckdienlich kann man die Botschaft nicht gerade nennen», tadelte Mr Enderby. «Halbheiten, Miss Trefusis. Wenn der alte Knabe durch den Mund des Geistes mitteilen konnte, dass er tot sei, warum fügte er dann nicht gleich hinzu, wer ihn ermordet hat? Nichts wäre einfacher gewesen.»
«Ich habe das Gefühl, dass hier in Sittaford der Schlüssel zum Ganzen zu finden ist», sagte Emily nachdenklich.
«Warum nicht…? Jedenfalls werden wir uns dort oben gründlich umsehen. Ich habe einen Wagen gemietet und fahre in einer halben Stunde. Meinen Sie nicht, es wäre das Beste, Sie kämen gleich mit?»
«Gewiss. Und Major Burnaby?»
«Ist schon auf und davon. Unmittelbar nach der Leichenschau machte er sich auf den Weg – zu Fuß. Wahrscheinlich wollte er meiner Gesellschaft entgehen, denn niemandem kann es ein Vergnügen bereiten, zehn Kilometer bergauf durch Matsch und Schnee zu stapfen.»
«Wird der Wagen denn durchkommen?»
«Ja. Obwohl heute der erste Tag ist, an dem ein Wagen sich wieder nach Sittaford traut.»
«Dann also los!» befahl Emily, schnell aufspringend. «Ich muss mein Köfferchen packen und noch ein paar Tränen an Mrs Bellings Schulter vergießen.»
«Regen Sie sich nur nicht zu sehr auf», mahnte Charles Enderby ziemlich einfältig. «Und überlassen Sie alles Weitere ruhig mir.»
«Ja, das will ich auch», versicherte Emily mit einem gänzlichen Mangel an Wahrheitsliebe. «Ach, es ist ja so wunderbar, jemanden zu
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