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Das Geheimnis von Sittaford

Das Geheimnis von Sittaford

Titel: Das Geheimnis von Sittaford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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kommt Mrs Gardner innerhalb der nächsten zehn Minuten zurück.»
    Betty schlurfte davon, und Emily setzte sich, in ihr Büchlein starrend, ans Feuer.
    «Drei Uhr zehn ab Exeter, an Exhampton drei Uhr zweiundvierzig», murmelte sie. «Gerade die richtige Zeit, um zu des Bruders Wohnung zu gehen und ihn zu ermorden… Pfui, wie gemein und kaltblütig das klingt… und Unsinn ist es außerdem. Nichtsdestoweniger… Welche Züge kämen dann für die Rückfahrt in Betracht? Hm, da ist einer um vier Uhr fünfundzwanzig, und außerdem noch die beiden Abendzüge, die Mr Dacres erwähnte. Hallo, da klappt die Haustür!»
    Gleich darauf erklangen Stimmen in der Diele; dann ging die Tür auf, und Jenny Gardner trat über die Schwelle.
    «Ich bin Emily Trefusis, die Verlobte von James Pearson.»
    «Also Sie sind Emily!», sagte Mrs Gardner herzlich, ihr beide Hände entgegenstreckend. «Nun, das nenne ich eine Überraschung.»
    Plötzlich fühlte sich die selbstbewusste junge Dame ganz schwach. Richtig wie ein kleines Mädchen, das im Begriff ist, eine Dummheit zu begehen. Ein außergewöhnlicher Mensch, diese Tante Jenny. Ihre Willenskraft reichte für mindestens zwei Personen aus.
    «Haben Sie schon Tee getrunken, mein Kind? Nein? Dann werden wir zusammen trinken. Nur einen Augenblick, ich muss zuvor schnell mal nach Robert sehen.»
    Ein seltsamer Ausdruck flog über das energische Gesicht, als Mrs Gardner ihren Mann erwähnte. Die volle, harte Stimme wurde weich. Es war wie ein Lichtschimmer, der über dunkles Wellengekräusel glitt.
    Ja, sie betete ihn an, dachte Emily, allein im Wohnzimmer zurückbleibend. Trotzdem geht etwas Einschüchterndes von Tante Jenny aus, und ich möchte wissen, ob Onkel Robert sich angesichts dieser maßlosen Anbetung wohl fühlt.
    Als Jenny Gardner das Zimmer wieder betrat, hatte sie ihren Hut abgenommen, so dass die hohe Stirn mit dem glatt zurückgekämmten Haar sichtbar war.
    «Möchten Sie über das Vorgefallene sprechen, Emily, oder nicht? Ich kann verstehen, wenn Sie es nicht möchten.»
    «Es wird durch Reden nicht besser, nicht wahr?»
    «Wir wollen hoffen, dass man den wirklichen Mörder schnellstens findet», sagte Mrs Gardner. «Bitte, klingeln Sie, Emily. Ich will der Schwester den Tee nach oben schicken, damit sie uns mit ihrem Geschwätz verschont. Ach, wie ich diese Krankenpflegerinnen hasse!»
    «Ist sie tüchtig?»
    «Ich denke ja, wenigstens behauptet Robert es. Mir missfällt sie, hat mir von Anfang an missfallen. Doch Robert meint, sie sei von allen Pflegerinnen, die er bisher gehabt habe, bei weitem die beste.»
    «Sie sieht ganz gut aus», warf Miss Trefusis ein.
    «Unsinn. Mit ihren hässlichen, feisten Händen?»
    Unwillkürlich haftete Emilys Blick an den langen, weißen Fingern ihrer Tante, als sie das Milchkännchen und die Zuckerzange anfassten.
    Jetzt erschien Betty, nahm die Teetasse und einen Teller mit Gebäck und trabte nach oben.
    «Robert haben die Aufregungen sehr geschadet», erzählte Mrs Gardner. «Er steigert sich in ganz merkwürdige Zustände hinein.»
    «Er hat Captain Trevelyan nicht näher gekannt, soviel ich weiß.»
    «Nein. Und er schätzte ihn auch nicht besonders. Ich selbst kann – um ganz ehrlich zu sein – auch nicht allzugroßen Schmerz über seinen Tod empfinden. Joe war ein grausamer, habgieriger Mensch, Emily. Er wusste, wie wir uns durchschlugen, wusste, dass ein Darlehen zur rechten Zeit Robert vielleicht die Gesundheit wiedergegeben hätte. Nun hat das Schicksal Vergeltung geübt.»
    Schön und schrecklich ist sie – schoss es Emily durch den Kopf. Eine Gestalt aus einer griechischen Tragödie…
    «Doch vielleicht kann eine umfassende Behandlung auch jetzt noch Erfolg haben», fuhr Mrs Gardner fort. «Ich schrieb heute an den Notar in Exhampton, ob ich eine gewisse Summe im voraus erhalten könne. Emily – das Glück wäre nicht auszudenken, wenn Robert wieder imstande sein würde zu gehen.»
    Emily Trefusis fühlte sich müde und abgespannt. Ein langer Tag lag hinter ihr; sie hatte wenig oder gar nichts gegessen, war zermürbt durch die gewaltsam unterdrückten Gemütsbewegungen, und plötzlich begann sich das Zimmer zu drehen, die Gegenstände zu schwanken.
    «Fühlen Sie sich nicht wohl?»
    «Doch…», japste Emily, und zu ihrer eigenen Überraschung, Wut und Demütigung brach sie in Tränen aus.
    Mrs Gardner machte keine Anstalten, aufzustehen und sie zu trösten, wofür das junge Mädchen ihr dankbar war. Sie saß stumm auf

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