Das Geheimnis von Vennhues
zehn, knapp zwanzig Minuten nach Eingang des Notrufs durch Hauptkommissar Hambrock. Die Beamten, die sich bis zu diesem Zeitpunkt lediglich auf das Absperren eines Leichenfundorts eingestellt hatten, erkannten schnell, dass die Abwehr weiterer Gefahrensituationen absoluten Vorrang hatte. Schließlich hatten sie einen verletzten Kommissar, eine aufgebrachte Dorfgemeinschaft und einen Fall von drohender Selbstjustiz.
Um dreiundzwanzig Uhr siebzehn erreichten sie den Hof von Werner Bodenstein und näherten sich mit gezogenen Dienstwaffen von verschiedenen Seiten dem Gebäude. Im Innern trafen sie jedoch nur auf den alten Bauern, der am Herdfeuer saß und reglos in die Flammen starrte. Nach seinen Angaben waren die Männer aus dem Dorf bereits wieder erfolglos abgezogen, nachdem sie das Gebäude durchsucht und sich selbst davon überzeugt hatten, dass sein Sohn nicht mehr anwesend war. Auch wenn ihnen der Tatverdächtige nicht ins Netz gegangen war, so waren die Beamten dennoch erleichtert über die Situation vor Ort. Sie setzten sich zu dem Bauern ans wärmende Feuer und begannen mit ihrer Befragung.
In der Zwischenzeit waren der Notarzt und drei weitere Streifenwagen der Kreispolizei in Vennhues eingetroffen. Die Beamten begannen sofort das Vennhueser Moor weiträumig abzusperren und die Personalien der Dorfbewohner aufzunehmen, die sich auf dem Kirchhof versammelt hatten. Jenseits der Grenze wurden sie von ihren niederländischen Kollegen tatkräftig unterstützt. Die Polizisten des Nachbarlandes waren von der Kreispolizeibehörde in Borken über den so genannten kleinen Grenzverkehr alarmiert worden, der direkte Absprachen zwischen den Leitstellen in Borken und in Enschede und somit einen abgestimmten Sicherungsangriff beiderseits der Grenze ermöglichte.
Um dreiundzwanzig Uhr achtundzwanzig stellte der Borkener Notarzt den Tod des siebzehnjährigen Jungen fest und informierte über Handy – er musste zurück ins Dorf gehen, um ein Netz zu bekommen – den diensthabenden Obduzenten der Rechtsmedizin Münster. Kurz darauf trafen die ersten Mitglieder der Gruppe für Kapitalverbrechen des Polizeipräsidiums Münster ein: Heike Holthausen und Philipp Häuser sowie eine Polizeifotografin und zwei Kriminaltechniker. Holthausen begleitete die Kollegen über den eigens erstellten Trampelpfad, der wegen der Spurensicherung von niemandem verlassen werden durfte, und am Leichenfundort setzte sie die Maschinerie der Spuren- und Tatortbefundsicherung in Gang.
Philipp Häuser betrat derweil mit einem Verbandskoffer unter dem Arm das Gasthaus Esking neben dem Kirchhof, in das man Hambrock gebracht hatte. Er hatte sich Sorgen gemacht um seinen Chef, von dem sie bislang nicht mehr erfahren hatten, als dass er verletzt war. Doch als er Hambrock mit gewohnt missmutiger Miene an einem Kneipentisch sitzen sah, lediglich mit einer Schürfwunde über dem linken Auge, entspannte er sich, zog einen Stuhl heran und setzte sich.
»Mensch, Chef, das ist schon alles?«, fragte er und deutete auf die Wunde. »Mehr braucht man nicht, um Sie zu Boden gehen zu lassen?«
Hambrock bedachte ihn mit einem kühlen Blick. Er war nicht zu Späßen aufgelegt.
»Wenn ich in dem Verbandskasten ein Fläschchen Jod finde, wäre das alles, Philipp. Sie können dann zu den anderen am Fundort aufschließen.«
Häuser verdrehte die Augen. »Jetzt lassen Sie sich doch helfen. Ich sag ja schon nichts mehr.« Reumütig fügte er hinzu: »Tut mir Leid.«
Er ließ den Koffer aufschnappen und kramte einen Wattebausch und ein kleines Fläschchen mit hochprozentigem Alkohol hervor. Dann machte er sich daran, die Verletzungen im Gesicht seines Chefs vorsichtig zu reinigen.
Hambrock beobachtete seinen Praktikanten.
»Dass Sie überhaupt hier sind«, sagte er tonlos. »Gab es keine Party in Ihrer WG?«
»Es ist doch erst elf. So früh geht da noch nichts los. Was denken Sie denn?« Er tupfte behutsam um die Wunde herum. »Ich habe bislang nur einen Joint geraucht, aber ich merk schon längst nichts mehr.«
Er bemerkte Hambrocks kritischen Blick.
»Keine Angst, ich bin nicht gefahren«, fügte er hinzu.
Hambrock seufzte. »Philipp, Sie sollten sich abgewöhnen, in meiner Gegenwart straftatrelevante Umstände zu erwähnen. Ich kann wohl schlecht dulden, dass meine Mitarbeiter mit meinem Wissen gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen.«
Häuser blickte ihn ungerührt an. »Jetzt werden Sie nicht gleich förmlich. Das ist ohnehin nur Eigenbedarf.«
Er
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