Das Geheimnis von Vennhues
entkommen!«
Peter begann zu laufen. Er musste den Weg verlassen, wenn er ihnen entkommen wollte. Der Weg war eine Falle. Hinter der Biegung würde er ihnen ins Netz gehen.
Er schlug einen Haken und lief in den Bruchwald hinein. Der Torfboden federte unter seinem Tritt. Farnkraut bedekkte die schlammigen Furchen, mit einem lauten Schmatzen geriet er immer wieder hinein.
Hinter ihm die aufgeregten Rufe.
»Er versucht, durch den Wald zu entkommen!«
»Hinterher! Beeilt euch doch!«
Er rannte schneller. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Dürre Birkenzweige peitschten auf ihn ein, morsche Äste knackten unter seinen Füßen. Er rutschte in eine Wasserlache und versank knietief im eiskalten Wasser.
Das war es, wovor seine Mutter ihn gewarnt hatte. »Du darfst niemals in Panik verfallen, das ist die größte Gefahr im Moor. Wenn du in Panik gerätst, dann wirst du Fehler machen.«
Er musste sich zusammennehmen, egal wie nah seine Verfolger waren.
»Da läuft er! Wir haben ihn gleich!«
Er riskierte einen Schulterblick, bevor er weiterrannte. Noch war von ihnen nichts zu sehen. Doch sie waren nicht weit, da war er sicher. Er musste seinen Vorsprung nutzen.
Blind rannte er weiter. Es dauerte nicht lange, bis er ins nächste Wasserloch hineinrutschte. Dieses Mal verlor er sein Gleichgewicht und fiel der Länge nach ins feuchte Binsengras. Hektisch raffte er sich wieder auf.
Keine Panik!, mahnte er sich. Du darfst nicht in Panik verfallen.
Sie würden ihn fassen. Er konnte nichts dagegen unternehmen. Sie waren in der Überzahl.
Ein Brombeerzweig riss seine Jacke auf, sein Fuß verhakte sich im nassen Gehölz am Boden. Er stürzte wieder, dieses Mal in den Schlamm. Sein Kopf stieß schmerzhaft gegen eine Baumwurzel. Er schrie.
Um ihn herum das ruhige Moor. Nebliger Dunst breitete sich zwischen den Bäumen aus. Nirgends war jemand zu sehen.
Ein Trugbild, dachte er panisch. Ich muss weiter! Sie sind hinter mir her. Sie werden mich kriegen!
Es dauerte nicht lange, bis er sich wieder aufgerafft hatte. Er dachte nicht nach, die Richtung war klar. So schnell er konnte, rannte er hinaus ins offene Moor.
11
Werner Bodenstein hielt in der Bewegung inne. Er lauschte. Doch es war nichts zu hören, im dichten Nebel war alles wie erstarrt. Selbst im Haus konnte er die lähmende Ruhe spüren, die sich über das Land gelegt hatte. Außer dem Pendelschlag der alten Wanduhr gab es nicht das geringste Geräusch. Er saß am Couchtisch und legte eine Solitär. Den laufenden Fernseher hatte er nicht mehr ertragen können, und das Kartenspiel beruhigte seine Nerven.
Es war inzwischen bereits nach zehn, und Peter war noch immer nicht zurückgekehrt. Gern hätte Bodenstein die Polizei gerufen, doch er wusste, dass dies keine gute Idee war. Für eine Vermisstenanzeige musste viel mehr Zeit vergangen sein. Und aus allem anderen hielt er die Polizei besser heraus. Er hatte auch darüber nachgedacht, Hambrock junior anzurufen. Doch Peter würde das nicht wollen, und so hatte er davon abgesehen.
Mit einem Seufzer drehte er die zuoberst liegende Karte auf dem Stapel um und betrachtete das Blatt. Da wurde er von einem lauten Scheppern in der Waschküche aufgeschreckt. Die Karte fiel ihm aus der Hand.
Er horchte auf, doch es war alles wieder still.
Peter musste zurückgekommen sein. Werner Bodenstein erhob sich von der Couch und lief durch die Diele zur Waschküche. Dabei schaltete er überall die Lichter ein, und ein gutes Dutzend Birnen leuchtete in der Halle auf.
Es war tatsächlich Peter. Er saß in der Waschküche auf dem Schuhputzbänkchen. Umgestoßene Dosen mit Schuhwichse lagen auf dem Boden verstreut.
Er sah grauenhaft aus. Aschfahl und mit tiefen Ringen unter den Augen. Der Stoff seines Mantels war zerrissen und voller Schlamm, von der Hüfte abwärts war seine gesamte Kleidung durchnässt.
»Mein Gott, Junge! Was ist denn passiert?«
Er ließ sich gegen die Wand sacken. Sein Blick war ohne Hoffnung.
»Ich … ich habe eine Episode gehabt. Sie … Ich glaube, es ist nun vorbei.«
Bodenstein sah seinen Sohn erschrocken an. »Wie lange?«, fragte er.
»Ein paar Stunden. Ich weiß nicht genau.« Es kostete ihn merklich Kraft zu sprechen. Bodenstein würde seine Fragen auf später verschieben müssen.
»Du musst aus den Sachen heraus«, sagte er. »Sonst holst du dir den Tod. Kannst du gehen?«
»Natürlich«, sagte Peter schwach, stützte sich am Schuhschrank ab und stand auf. »Natürlich kann ich gehen.«
Werner
Weitere Kostenlose Bücher