Das Geheimnis von Vennhues
verändert sich. Irgendwie passt alles nicht mehr zusammen. Ich deute die Dinge falsch, ohne es zu merken. Ich bin mir ganz sicher, dass alles ist, wie es mir vorkommt. Später jedoch merke ich, dass ich mich in etwas verrannt habe. Es ist, als hätte ich eine doppelte Wahrnehmung. Und immer bekomme ich Halluzinationen.«
»Halluzinationen?«
»Ich höre Stimmen.«
Hambrock sah ihn erschrocken an, und Peter lächelte hilflos.
»Es ist, als wären sie wirklich da. Glaub mir. So wahrhaftig, dass keiner auf die Idee käme, sie existierten in Wirklichkeit nicht. Manchmal verursachen sie Paranoia. Die Stimmen warnen mich vor etwas, oder sie verfolgen mich.« Er schüttelte den Kopf. »Da macht es nichts, dass ich dir jetzt erklären kann, wie alles funktioniert. Sobald ich die Stimmen höre, bin ich wieder überzeugt von ihrer Existenz.«
»Sind es nur Stimmen, oder gibt es noch andere Halluzinationen?«
»Nein, nur Stimmen. Zwar kann es vorkommen, dass sich das Sichtfeld verschiebt. Konturen treten schärfer hervor und Farben werden intensiver. Doch visuelle Halluzinationen hatte ich bisher noch nie.«
Hambrock ließ sich das Gesagte durch den Kopf gehen. Dann blickte er Peter an. Beiden war klar, dass ihn dieses Geständnis weiter belastete. Es war ein zusätzliches Indiz, das gegen ihn sprach. Hambrock wusste nicht viel über diese Krankheit, dennoch fragte er sich: Wie weit konnte der Weg sein von einer Paranoia bis zu einem Mord?
»Was haben dir die Stimmen im Moor gesagt?«
Peter lehnte sich erschöpft gegen die Wand.
»Ich dachte, ich würde von ihnen verfolgt«, sagte er. »Es war, als wollte man mich ergreifen und umbringen. Ich war auf der Flucht. Ich wollte mich ins Hochmoor retten, weil ich glaubte, dort sicher zu sein.«
»Hast du denn Timo dann überhaupt getroffen?«
Er zögerte. »Ich glaube nicht.«
»Was ist mit dem Messer, dem Tatwerkzeug?«, fragte Hambrock. »Es stammt aus der Küche deines Vaters, das wissen wir inzwischen.«
Peter blickte auf den Holzboden. »Das hatte ich dabei«, gestand er. »Ich weiß selbst nicht genau, weshalb ich es eingesteckt habe. Es war so etwas wie ein Déjà-vu. Ich fühlte mich damit sicherer. Keine Ahnung, wovor ich eigentlich Angst hatte.«
Er bemerkte Hambrocks Blick und fügte hinzu: »Die Ärzte haben mir versichert, dass ich nur diese Wahnvorstellungen bekomme. Sie sagen, so etwas wie einen Filmriss gibt es nicht. Ich würde mich später an alles erinnern können. Wenn ich mich an etwas nicht erinnern kann, dann habe ich es auch nicht getan.«
Eine Windböe rüttelte an dem Dach der Vogelwarte, und ein Moorvogel flatterte schreiend davon.
Es verging eine knappe Minute, bevor Peter wieder das Wort ergriff.
»Weißt du noch damals?«, meinte er. »In dem Sommer, bevor das mit Willem passiert ist?«
Seine Stimme hatte sich verändert, und er lächelte gedankenverloren.
»Das war vielleicht eine Zeit«, fuhr er fort. »Ich kam gerade vom Bund, und du warst mit der Realschule fertig geworden.«
Hambrock wollte sich auf das Gespräch einlassen. Er ignorierte die Schmerzen in seinen Handgelenken. »Ja, das weiß ich noch«, sagte er.
»Wir hatten den Sommer und den halben Herbst ganz für uns allein«, sagte Peter. »Im Oktober sollte meine Lehre in Gronau beginnen. Ich wollte Schlosser werden. Damals war Gronau unendlich weit weg. Wie ein anderer Planet. Dabei sind es nur dreißig Kilometer.«
Er nahm ein verrottetes Bonbonpapier vom Boden auf und betrachtete es.
»Ich sollte in einem Zimmer über der Werkstatt wohnen«, fuhr er fort, »und nur noch am Wochenende wäre ich nach Hause gekommen. Die Vorstellung war wirklich aufregend. Es ging darum, ein eigenes Leben zu führen.«
»Ich kann mich gut erinnern«, sagte Hambrock freundschaftlich. »Als du vom Bund kamst, da waren es bei mir noch acht Wochen, bis ich auf die Polizeischule gehen sollte. Wir hatten einen ganzen Sommer lang frei, das war vielleicht was! Einen ganzen Sommer lang nichts tun.«
»Nichts tun und von der Zukunft träumen.«
Hambrock dachte gern daran zurück. Damals war es ihm vorgekommen, als würde der Sommer niemals enden. Sie hatten herumgesessen, viel Zeit am See verbracht, waren mit dem Motorrad über die Landstraßen gefahren und hatten bis tief in die Nacht im Kornfeld gelegen und den Sternenhimmel betrachtet.
Da waren Peter und Willem, die in diesem Sommer noch unzertrennlich gewesen waren, ein paar weitere Jungen aus der Klasse und er, Bernhard Hambrock, der
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