Das Geheimnis von Winterset
Charles dann später zu seiner Hütte zurückkehrte, halfen Kit und der Wildhüter Reed dabei, den Sohn des Squires zu fesseln und ihn ins Dorf zum Konstabler zu bringen.
Danach hatte Kit sich zurück auf den Weg nach Holcomb Manor gemacht, aber Reed war mit dem Dorfpolizisten zum Haus des Squires gegangen. Gerade hatte er Dr. Felton, Kit und Anna von dem berichtet, was sich dort noch ereignet hatte.
„Ja", bemerkte Dr. Felton nun. „Soeben war ich auch kurz beim Squire, und Mrs. Bennett ist völlig am Boden zerstört. Ich musste ihr ein Beruhigungsmittel geben."
„Ihrem Gatten geht es ähnlich", fügte Reed hinzu. „Anscheinend waren sie nie auf den Gedanken gekommen, dass mit ihrem Sohn etwas nicht stimmen könnte, und haben seine Launen und seine Neigung, sich stundenlang in seinem Zimmer einzuschließen, auf seine Jugend und seine ,poetische' Veranlagung geschoben."
„Der Squire hat mir versichert, dass sie Miles nicht adoptiert haben", erzählte der Arzt weiter. „Er meinte, dass sein Sohn vor zwei oder drei Jahren mit einem Schlag von der Idee besessen war, nicht sein leibliches Kind zu sein.
Allerdings hatten die Bennetts angenommen, dass Miles mittlerweile von dieser Vorstellung abgekommen war, da er in letzter Zeit nicht mehr davon gesprochen hatte."
„Es ist also völlig ausgeschlossen, dass er mit Lord Roger de Winter verwandt ist?", wollte Anna wissen.
Dr. Felton schüttelte den Kopf. „Allem Anschein nach war es nur eine seiner verrückten Einbildungen. Es wäre natürlich eine einfache Erklärung, zu denken, dass er den Wahnsinn seines vermeintlichen Großvaters geerbt hätte, aber das ist nicht der Fall. Ich denke, dass Miles' Krankheit eine Mischung aus seiner abartigen Faszination für Lord Roger und seiner Besessenheit von Ihnen ist, Miss Holcomb."
„Sie wussten über Lord Roger Bescheid?", fragte Anna den Doktor neugierig. „Waren Sie es, der die Seiten aus dem Tagebuch Ihres Vaters gerissen hat?"
Abermals schüttelte Felton den Kopf. „Nein, ich wusste nicht, dass er Lord de Winter wegen einer Krankheit behandelte, die über die üblichen Erkältungen und Malaisen hinausging. Wahrscheinlich hätte es mich misstrauisch machen sollen, dass es überhaupt keine Aufzeichnungen über Behandlungen der Bewohner von Winterset gab, nur ist mir das einfach nie aufgefallen." Er dachte kurz nach, bevor er weitersprach. „Mein Vater war natürlich seinen Patienten gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er auch nur ahnte, dass Lord de Winter zwei Menschen umgebracht hatte. Er würde Lady de Winter niemals geholfen haben, diese Verbrechen geheim zu halten."
Wenngleich Kit, Reed und Anna sich darüber einig gewesen waren, die Wahrheit über die Taten Lord de Winters endlich ans Licht zu bringen, so hatten sie doch für sich behalten, dass Nick Perkins Lady de Winter damals geholfen hatte. Sie waren sich sicher, dass er es nicht in böser Absicht getan hatte, sondern aus Freundschaft und Pflichtgefühl Lady Philippa gegenüber. Anna zweifelte nicht daran, dass er sein Verhalten schon schwer genug mit der Schuld bezahlt hatte, die seitdem auf seinen Schultern lastete.
„Ist im Haus der Bennetts noch etwas gefunden worden?", erkundigte sich Anna.
Reed nickte. „Estelles Ohrringe. Miles scheint also wirklich der ,Gentleman' gewesen zu sein, mit dem sie sich heimlich traf. Ich weiß nicht, ob er von Anfang an vorhatte, sie zu ermorden, oder ob die Tat aus einem wütenden Affekt heraus geschah und er dann erst auf die Idee kam, es so aussehen zu lassen, als ahme jemand die Morde von vor fünfzig Jahren nach. Miles ist gegenüber Konstabler Wright nicht sehr gesprächig. Entweder schweigt er ganz, oder aber er erzählt wirre Geschichten über die ,Wolfsmenschen' und derlei."
Reed machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: „Dafür hat man einige der Tagebücher des alten Lords in seinem Zimmer gefunden sowie einige der Masken. Es scheint zudem, als habe Miles Lord de Winter auch darin nachgeahmt, dass er selber ein Tagebuch geführt hat - ich kann mir vorstellen, dass sich darin genug Beweismaterial finden wird, um ihn der Morde an Estelle Akins und Frank Johnson schuldig zu sprechen."
„Gott sei Dank ist es vorüber", bemerkte der Arzt. „Das war alles so furchtbar, und es wird Zeit, dass hier wieder Normalität einkehrt." Fragend sah er Reed an. „Werden Sie denn nach allem, was geschehen ist, auch weiterhin auf Winterset leben
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