Das Geheimnis von Winterset
Frauen warfen sich bedeutsame Blicke zu.
„Das haben Sie sehr schön gesagt, meine Liebe", stellte Mrs. Burroughs anerkennend fest. „Ihre Bescheidenheit spricht für Sie, aber es ist auch nicht verwerflich, das Augenmerk eines so vortrefflichen Mannes auf sich zu ziehen."
„Und da Sie ja nicht einmal eine Saison in London hatten fügte Mrs. Bennett hinzu.
„Es war natürlich sehr vorbildlich von Ihnen, stattdessen auf dem Land zu bleiben und Ihrem Vater und Ihrem Bruder den Haushalt zu führen warf die Pfarrersfrau ein.
„... weshalb niemand es mehr verdient hätte als Sie, von einem solchen Mann auserwählt zu werden", schloss Mrs. Bennett triumphierend.
„Das ist sehr nett von Ihnen", erwiderte Anna und bemühte sich, ihre Stimme fest und klar klingen zu lassen. „Nur kann ich Ihnen versichern, dass Lord Moreland und ich nie mehr als flüchtige Bekannte waren. Wahrscheinlich wird er sich kaum noch an mich erinnern."
Anna wusste jedoch genau, dass dies mehr als zweifelhaft war. Reed Moreland mochte sich vielleicht nicht gerne an sie erinnern, aber es war sehr unwahrscheinlich, dass der Sohn eines Dukes die Frau vergaß, die ihn damit brüskiert hatte, seinen Heiratsantrag abzulehnen.
„Es wäre wirklich interessant, zu wissen, warum Lord Moreland nach so langer Zeit hierher zurückkehrt", bemerkte Dr. Felton, und Anna bedachte ihn mit einem dankbaren Blick, weil er die Unterhaltung von ihrer Beziehung zu Reed wegzuführen versuchte.
„Er hat Mr. Norton geschrieben, dass er beabsichtige, Winterset zu verkaufen", erklärte Mrs. Bennett. „Und nun will er sich selbst ein Bild vom Zustand des Anwesens machen und entscheiden, was an Reparaturen notwendig ist.
Er hat Mr. Norton damit beauftragt, Dienstboten einzustellen, die alles für seine Ankunft vorbereiten sollen."
„Wissen Sie ... wann er kommt?", fragte Anna.
„Ich denke bald, meine Liebe", erwiderte Mrs. Bennett. „Der Squire meinte, dass Mr. Norton den Eindruck hatte, Lord Moreland könne es kaum noch erwarten, wieder hier zu sein." Sie warf Anna einen vielsagenden Blick zu.
„Wenn er alles verkaufen würde, wäre das sicher gut", überlegte der Doktor laut. „Es ist besser, wenn wieder jemand dort lebt. Winterset ist ein wunderbares Haus, das nicht so lange Zeit leer stehen sollte."
„Oh ja, es ist herrlich", stimmte Mrs. Burroughs schnell zu, fügte dann jedoch zögernd hinzu: „Wenngleich es auch ein wenig ... befremdlich ist, nicht wahr?" Sie sah Anna entschuldigend an. „Ich weiß, dass es der Familiensitz Ihrer Vorfahren ist ..."
Anna lächelte beschwichtigend. „Ich bitte Sie, fürchten Sie nicht, mich zu beleidigen. Wir wissen doch alle, dass der Lord de Winter, der es hat erbauen lassen, ein wenig ... nun, ein wenig eigen war."
„Sie sagen es." Die Pfarrersfrau nickte und war offensichtlich erleichtert, dass Anna sie so gut verstand.
„Es wäre wunderbar, wenn dort wieder jemand leben würde", bekräftigte Mrs. Bennett, und ihre Augen leuchteten bei der Vorstellung. „Stellen Sie sich nur die herrlichen Feste vor...
Erinnern Sie sich noch an den Ball, den Lord Moreland damals gegeben hat? Es war ein großartiger, unvergesslicher Abend."
„Oh ja, wahrlich", stimmte Mrs. Burroughs zu.
Anna schwieg und hörte der Unterhaltung nur noch mit halbem Ohr zu. Sie erinnerte sich sehr gut an den Ball -
allzu gut. Die Erinnerung daran verfolgte sie seit Jahren.
An jenem Abend hatte sie hinreißend ausgesehen und war sich dessen auch bewusst gewesen. Ihre Haare waren zu einer jener raffinierten Frisuren aufgesteckt, zu denen ihre Kammerzofe Penny sie immer zu überreden versuchte, und dazu hatte sie ein Kleid in einem kräftigen Blauton getragen, das ihre Augen tiefblau wie den mitternächtlichen Himmel schimmern ließ. Vor Aufregung hatten ihre Augen gefunkelt, ihre Wangen waren leicht gerötet gewesen, und ihre Vorfreude und ihr Glück hatten ihr natürliches gutes Aussehen in strahlende Schönheit verwandelt.
Der Ballsaal auf Winterset war hell erleuchtet, und der liebliche Duft von Gardenien hing in der Luft. Anna erinnerte sich, dass sie Reed einmal erzählt hatte, wie sehr sie Gardenien mochte, und sobald sie erkannte, dass er den Blumenschmuck als ein Geschenk für sie gedacht hatte, empfand sie ein unbeschreibliches, überschwängliches Glück. Und als sie in seine lächelnden Augen sah, fand sie ihre Gefühle bestätigt.
Es war der schönste Abend ihres Lebens. Sie hatte nur zweimal mit Reed getanzt, da die
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