Das Geheimnis
Kammerherr den metallischen Geschmack der Furcht hinunter. Hier und jetzt würde sich sein zukünftiges Schicksal entscheiden.
Im Inneren der Audienzhalle kniete Tokugawa Tsunayoshi auf dem Podium. Zu seiner Linken saßen Fürstin Keisho-in und Priester Ryuko Seite an Seite. Die Mutter des Shôguns starrte Yanagisawa finster an, während Ryuko den Kammerherrn mit einem Blick bedachte, in dem Spott und Triumph lagen, bevor er in gespielt-spöttischem Respekt den Kopf neigte. Auf dem Ehrenplatz rechts neben dem Shôgun kniete sôsakan Sano, der sich sichtlich Mühe gab, eine unbeteiligte Miene zu wahren.
In Yanagisawas Innerem brach ein Vulkan aus Hass und Eifersucht aus. Der Anblick, wie sein größter Feind seinen gewohnten Platz neben dem Shôgun einnahm, bedeutete für ihn, dass sein schlimmster Albtraum Wirklichkeit geworden war. Sano hatte ihn als höchsten Günstling des Shôguns verdrängt. Am liebsten hätte Yanagisawa sich lautstark über diese Ungehörigkeit beschwert, doch er beherrschte sich. Wenn er seinen Zorn zeigte, würde er sich selbst einen schlechten Dienst erweisen. Seine gesamte Zukunft hing davon ab, ob es ihm gelang, die Situation geschickt zu handhaben. Er musste sich eisern beherrschen. Yanagisawa kniete vor dem Podium nieder und verneigte sich vor dem Shôgun.
»Guten Morgen, Yanagisawa-san«, sagte Tokugawa Tsunayoshi. Er lächelte nicht, und in seiner Stimme lag keine Spur der üblichen Zuneigung. »Ich bedaure, dass diese Versammlung Euch von der Ausübung Eurer gewohnten … äh, Pflichten abhält.«
»Ich fühle mich geehrt, wann immer ich zu Euch gerufen werde, mein Fürst.« Wenngleich der eisige Empfang ihn mit Entsetzen erfüllte, redete Yanagisawa, als hätte er keine Ahnung, dass man dieses geheime Treffen einberufen hatte, weil sein Komplott gegen Sano aufgeflogen war und ihm nun eine Anklage wegen Hochverrats drohte. »Euer Wunsch ist mir stets Befehl.«
»Ich habe Euch herbestellt, um eine … äh, ernste Angelegenheit zu klären, die meine ehrenwerte Mutter und sôsakan Sano vorgebracht haben«, sagte der Shôgun und befingerte nervös seinen Fächer.
Kammerherr Yanagisawas Herz schlug so heftig, dass es ihm wie ein wildes kleines Tier erschien, das sich aus dem Käfig seines Körpers zu befreien versuchte. Wenngleich er sich diese Szene zahllose Male vorgestellt hatte, seit Ryuko in seiner Schreibstube erschienen war, stellte die Wirklichkeit seine schlimmsten Befürchtungen in den Schatten. Er musste seine Angst besiegen und all seine Gedanken darauf richten, die Schäden zu beseitigen, die er sich selbst zugefügt hatte.
»Natürlich werde ich auf jede mir mögliche Weise helfen, mein Fürst.« Yanagisawa setzte eine verwunderte Miene auf und gab sich den Anschein, als würde er nichts lieber tun, als dem Shôgun zu helfen, wobei er genau das richtige Maß an Unschuld in seine Stimme legte. »Wo liegt das Problem?«
»Wie es scheint, habt Ihr … äh, versucht, meiner geliebten Mutter die Schuld für den Mord an Konkubine Harume in die Schuhe zu schieben und meinen getreuen, braven sôsakan-sama dadurch zu vernichten, indem Ihr ihn auf eine Weise getäuscht habt, dass er meiner ehrenwerten Mutter den Vorwurf des Mordes machen musste. Das ist nicht nur … äh, allerschlimmster Hochverrat, es ist auch Verrat an meiner Person.« Die Stimme von Tokugawa Tsunayoshi klang schrill und angespannt; Tränen schimmerten in seinen Augen. Fürstin Keisho-in murmelte verärgert vor sich hin, während sie ihrem Sohn die Hand tätschelte. Ryuko lächelte Yanagisawa wissend an, während Sano sämtliche Anwesenden wachsam im Auge behielt.
»Seit 15 Jahren habe ich Euch gegeben, was Ihr wollt – Ländereien, Geld, Macht«, fuhr der Shôgun fort, »und Ihr zahlt mir diese Großzügigkeit zurück, indem Ihr meine Familie und meine Freunde angreift. Es ist empörend!«
»Das wäre es in der Tat, wenn es der Wahrheit entspräche«, erwiderte der Kammerherr. »Aber ich kann Euch versichern, dass nichts davon stimmt.« Yanagisawa spürte Schweiß unter den Achselhöhlen, während seine zitternden Hände eiskalt wurden. Doch er wusste genau, was er zu tun hatte. Er setzte eine erschreckte und verletzte Miene auf, wobei er darauf achtete, nicht zu übertreiben. »Darf ich fragen«, sagte er schließlich, »was Euch zu dem Glauben veranlasst hat, ich hätte solch abscheuliche Taten begangen?«
»Äh …« Der Shôgun schluckte und blinzelte. Von Gefühlen überwältigt, forderte er Sano
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