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Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Höhepunkt. Die Nachforschungen waren vergessen, und es interessierte ihn nicht mehr, ob irgendjemand etwas bemerkte.
    Auf der Bühne beging der von Kummer überwältigte Jimbei seppuku und schlitzte sich neben den Leichen seiner Frau, seines Bruders und seiner Schwägerin den Bauch auf. Damit endete das Stück, das Publikum spendete Beifall – und Ichiteru zog plötzlich die Hand zurück.
    »Lebt wohl, ehrenwerter Ermittler … Es war eine höchst interessante Begegnung.« Den Blick sittsam gesenkt und den Fächer bis in Augenhöhe vor dem Gesicht, verneigte sich Ichiteru. »Lasst es mich bitte wissen, solltet Ihr noch einmal meine Hilfe benötigen.«
    Hirata, dem der schmerzlich ersehnte sexuelle Höhepunkt verwehrt geblieben war, starrte die Konkubine enttäuscht und fassungslos an. Hätte jemand Ichiteru in diesem Augenblick beobachtet, er wäre nie darauf gekommen, was soeben geschehen war. Hirata war viel zu verwirrt, als dass er auch nur ein Wort hätte hervorbringen können. Er erhob sich zum Gehen, wobei er sich zu erinnern versuchte, was er bei diesem Gespräch eigentlich erfahren hatte. Konnte eine Frau, die er so sehr begehrte, eine kaltblütige Mörderin sein? Zum ersten Mal in seiner Laufbahn als Polizist fühlte Hirata, wie seine berufsmäßige Unvoreingenommenheit ihm zu entgleiten drohte.
    Hinter dem nun wieder gesenkten Bühnenvorhang sagte die ernste Stimme des Erzählers: »Ihr habt eine wahre Geschichte gesehen und erlebt, wie Verrat, verbotene Liebe und Blindheit zu einer schrecklichen Tragödie führen können. – Wir danken euch für eure Aufmerksamkeit.«

11.
    E
    ta- Leichenträger legten Harumes verhüllten Körper auf den Untersuchungstisch in Dr. Itos Arbeitsraum in der Leichenhalle von Edo. Dann beobachteten Sano und Dr. Ito, wie Mura den Leichnam der Konkubine aus den weißen Tüchern wickelte. Harumes Augen waren bereits trüb geworden, und ihre Haut war weiß und vom beginnenden Verfall gezeichnet. Ein süßlicher, Übelkeit erregender Geruch verpestete die Luft. Noch immer trug Harume die verschmutzten Gewänder aus roter Seide, und noch immer waren ihr Gesicht und das verklebte Haar mit Blut und Erbrochenem besudelt. Hirata hatte in der Tat dafür gesorgt, dass die Tote unangetastet geblieben war und somit kein möglicher Beweis verändert wurde. Sano war auf den Anblick gefasst gewesen und verspürte deshalb nur kurz ein Gefühl der Abscheu. Dr. Ito hingegen war sichtlich erschüttert.
    »So jung«, murmelte er. Als Aufseher der Leichenhalle hatte er schon zahllose Körper untersucht, die in weit schlimmerem Zustand gewesen waren als der Harumes; dennoch verzog er gequält das Gesicht, was ihn älter aussehen ließ, als er in Wirklichkeit war. In ausdruckslosem Tonfall sagte er. »Auch ich hatte einst eine Tochter.«
    Sano erinnerte sich, dass Itos jüngstes Kind an Fieber gestorben war; damals war es ungefähr so alt wie Harume jetzt gewesen. Der Kontakt zu seinen anderen Kindern war nach seiner Verhaftung abgerissen. Sano und Mura standen schweigend da, die Köpfe in stummem Respekt vor der Trauer ihres Freundes gesenkt, der er so selten Ausdruck verlieh. Schließlich räusperte sich Dr. Ito und sagte in gewohnt forschem Tonfall: »Nun denn. Lasst uns nachsehen, was das Opfer uns über seinen Mörder erzählen kann.«
    Er ging um den Tisch herum und betrachtete Harumes Leichnam. »Geweitete Pupillen, Muskelkrämpfe, erbrochenes Blut – alles Symptome, die meine anfängliche Diagnose erhärten, dass dieses Mädchen mit indischem Pfeilgift getötet worden ist. Aber vielleicht können wir noch mehr erfahren. Würdest du sie bitte entkleiden, Mura?«
    Trotz seiner unkonventionellen Art hielt auch Dr. Ito an der ungeschriebenen Regel fest, den Umgang mit den Toten nur den eta zu überlassen. Deshalb übernahm Mura unter der Aufsicht seines Herrn auch den Großteil der Obduktion. Nun nahm er ein Messer und schnitt die blutverklebten Gewänder von Harumes starrem Körper. Die dunklen Brustwarzen und die fast schwarzen Linien der Tätowierung bildeten einen scharfen Kontrast zur weißen wächsernen Haut. Harumes Gliedmaßen waren glatt, die feinen Härchen abrasiert, und die Haut war makellos rein. Harume war offensichtlich ein äußerst reinlicher Mensch gewesen.
    Etwa in Höhe des Magens beugte Dr. Ito sich über die Tote und runzelte die Stirn. »Hier ist irgendetwas«, sagte er, legte ein weißes Baumwolltuch auf die Haut der Leiche, das ihn vor spiritueller Beschmutzung

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