Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis

Das Geheimnis

Titel: Das Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
einen so guten Mann zu haben«, deklamierte der Sprecher mit leiserer Stimme. »Denn ach, ich Arme habe keinen Gatten!« Dann wandte der Erzähler sich erklärend ans Publikum: »Ihrer Blindheit wegen sieht Okiku nicht, dass Ofuji in Jimbei verliebt ist, ihrer Schwester deren Glück neidet und ihr Schlechtes wünscht.«
    Dann sang Okiku ein trauriges Liebeslied, wobei sie von einer Samisen, einer Flöte und einer Trommel begleitet wurde. Bewegung kam in das erwartungsvolle Publikum; Stimmen wurden laut, als die Zuschauer sich aufgeregt unterhielten, denn bei Theaterbesuchern in Edo war es nicht üblich, während der Aufführungen Stille zu wahren. Hirata, der noch immer Konkubine Ichiterus Kirschkern in Händen hielt, zwang sich, seine Gedanken wieder auf die Morduntersuchung zu lenken.
    »Habt Ihr gewusst, dass die ehrenwerte Harume sich tätowieren wollte?«, fragte er.
    »… Harume und ich waren nicht so vertraut miteinander, dass sie mir von solchen Dingen erzählt hätte.« Ichiteru, deren Fächer noch immer den unteren Teil ihres Gesichts verdeckte, bedachte Hirata mit einem Blick, der wie warmer Atem über seine Haut hinwegglitt. »Ich habe schockierende Gerüchte gehört … Wenn Ihr mir die dreiste Frage erlaubt … Wo an ihrem Körper hat Harume sich tätowiert?«
    Hirata schluckte. »An ihrem … auf ihrem … äh …«, stammelte er. Wusste Ichiteru wirklich nicht, wo Harume sich tätowiert hatte? War sie völlig ahnungslos und unschuldig? »Die Tätowierung war … äh …«
    Ichiteru lächelte amüsiert. »Ja?«
    »Auf dem Schambein«, platzte Hirata heraus, und Verlegenheit spülte wie eine Woge heißen Wassers über ihn hinweg. Hatte Ichiteru ihn absichtlich dazu gebracht, dieses ihm peinliche Wort auszusprechen? Sie war so herausfordernd, aber zugleich auch so kultiviert und elegant. Hirata fragte sich, wie er dieses Verhör jemals zu Ende führen sollte. Bekümmert starrte er auf die Bühne.
    Okikus Lied hatte inzwischen geendet. Nun erschien die Puppe eines jungen, gut aussehenden Samurai mit verschlagenem Gesichtsausdruck. Er näherte sich dem Schwesternpaar. »Jimbeis jüngerer Bruder Bannojo ist heimlich in Okiku verliebt und begehrt sie«, fuhr der Erzähler fort. Bannojo winkte Ofuji zu sich. Von Okiku unbemerkt schmiedeten die beiden einen schändlichen Plan. Die eifersüchtige Ofuji erklärte sich einverstanden, den lüsternen Bannojo in dieser Nacht ins Haus zu lassen. Die Musik wurde misstönend, und ein aufgeregtes Raunen ging durch das Publikum.
    Hirata mühte sich verzweifelt, Ichiterus Verhör wieder aufzunehmen. »Wart Ihr vor dem Tod der ehrenwerten Harume in deren Gemach?«, fragte er.
    »Für eine Dame meines Standes ziemt es sich nicht, das Zimmer eines ordinären Bauernmädchens zu betreten.« Empörung schlich sich in Ichiterus Stimme. »So etwas … tut man einfach nicht.«
    Wenn Ichiteru nicht in Harumes Gemach gewesen war, bedeutete dies, dass sie die Tusche unmöglich vergiftet haben konnte – oder? Obwohl er über viel Erfahrung in der Polizeiarbeit verfügte, wollte es Hirata einfach nicht gelingen, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, dem Verhör einen logischen Aufbau zu geben, denn Ichiterus Bemerkung hatte den Nerv seiner Unsicherheit getroffen und sein Minderwertigkeitsgefühl noch größer werden lassen. Im Beisein Ichiterus kam er sich unbedeutend und schmutzig vor; die schöne Konkubine schien ihn wie Harume ihrer Aufmerksamkeit als unwürdig zu erachten. Ein Gefühl der Demütigung mischte sich unter Hiratas Begierde.
    Auf der Bühne erschien derweil ein neues Hintergrundbild: ein Schlafgemach bei Nacht, in dessen Fenster ein Halbmond zu sehen war. Die wunderschöne Okiku lag schlummernd auf einem Futon, während Bannojo von Ofuji auf leisen Sohlen ins Zimmer geführt wurde. Das Publikum stieß Warnschreie aus.
    Okiku bewegte sich und setzte sich auf. »Wer ist da?« Der Sprecher verlieh ihrer Stimme einen schrillen, verängstigten Beiklang.
    »Ich bin es, Jimbei«, sagte Bannojo. »Aus Edo bin ich zurück, geliebtes Weib.« Dann erklärte der Erzähler dem Publikum: »Bannojos Stimme ähnelt so sehr der seines Bruders, dass Okiku glaubt, ihr Ehegatte wäre heimgekehrt.«
    Das Paar sang ein freudiges Duett. Dann lösten sie einander die Schärpen ihrer Kleidungsstücke, welche daraufhin zu Boden fielen und bei Okiku riesige Brüste und bei Bannojo ein gewaltiges steifes Glied enthüllten. Das war der Vorteil eines Puppentheaters: Man konnte Szenen

Weitere Kostenlose Bücher