Das geheimnisvolle Gesicht
20.
Im Fernsehen lief ein amerikanischer Western ohne Ton. Perry hatte ihn abgedreht, als er zur Tür ging, um Dicki hereinzulassen. Und Dickis Interesse wiederum wurde mehr von dem Koffer als von dem Film in Anspruch genommen.
„So!“ sagte Perry in diesem Moment. Das galt den Eiern, die, mit einem braunen, knusprigen Rand umgeben, von der Pfanne auf einen Teller wanderten.
„Daß Sie bei einem solchen Gestank essen können“, mokierte sich Dicki bissig und ließ sich dicht neben dem offenstehenden Koffer auf die Couch fallen.
„Daß du mir bei einem solchen Gestank zugucken willst..."
Dicki, der seit seinem Eintritt den gepackten Koffer und die damit verbundene Tatsache einer offensichtlich bevorstehenden Reise unerwähnt gelassen hatte, behielt diese Taktik auch weiterhin bei.
„Das ist eben Freundschaft, Mister Clifton!“
Perry, inzwischen mit Weißbrot, Messer und Gabel ausgerüstet, erkundigte sich zwischen zwei Bissen:
„Was meinst du damit?“
„Freundschaft ist, wenn man trotzdem bleibt!“
„Trotz was?“
„Trotz Gestank!“
„Du bleibst nicht“..., hopsa! da war das Ei wieder von der Gabel gerutscht... „Du bleibst nicht aus Freundschaft, Dicki, du bleibst, weil die Neugier an dir nagt wie die Maus am Käse!“
Dicki schwieg und tat, als feßle ihn urplötzlich das Geschehen auf dem Bildschirm.
„Basel!“ sagte Perry Clifton und nahm einen Schluck aus der dampfenden Teetasse. Er hatte es leise gesagt, eigentlich mehr nur dahingeworfen. Trotzdem fuhr Dickis Kopf wie auf Kommando herum.
„Sie fahren für diesen Mister Burton nach Basel?“
„Ich fahre nicht, ich fliege! Mach den Apparat aus, Dicki!“
„Eins, zwei, drei — und da saß er schon wieder.
„Ein schwieriger Fall?“
Perry zuckte mit den Schultern und deutete auf seinen kauenden Mund.
„Daß Sie auch immer essen müssen, wenn Sie nach Hause kommen!“ grollte Dicki, beschloß dann jedoch, seinen Freund zu Ende essen zu lassen. Schließlich wollte er nicht, daß Perry Clifton ein Magengeschwür bekam. Und nach Bekundungen seines Großvaters bekam das derjenige, der während des Essens redete oder in einen ovalen Spiegel sah und Grimassen zog. Inwieweit das stimmte, wagte Dicki nicht zu beurteilen. Bei den Sprüchen seines Großvaters wußte er ohnehin nie, was ernst gemeint war und was nicht.
„Ob es ein schwieriger Fall wird, Dicki, kann ich dir heute noch nicht sagen!“
„In jedem Fall sind Sie hinter jemandem her, stimmt’s?“
Perry räumte das Geschirr in die Spüle, ließ Wasser drauflaufen, band sich die (zickige) Schürze ab und schloß das Fenster. Dann nahm er seine Teetasse und setzte sich Dicki gegenüber.
„Es stimmt, daß ich hinter jemandem her bin!“
„In Basel!“
„Ja, meine Aufgabe besteht darin, nach einer Frau zu forschen!“
„Und was hat diese Frau getan?“
„Ich weiß es nicht! Es klingt komisch, Dicki, aber zum ersten Mal kann ich dir keine Einzelheiten erzählen. Und das nicht nur, weil ich dazu angehalten wurde, sondern auch, weil es eine recht verworrene Geschichte ist.“
„Sie sind heute früh ziemlich zeitig weggefahren, stimmt’s?“
„Stimmt! Es war genau 7 Uhr. Hast du mich wegfahren sehen?“
„Ja, und ich weiß auch, daß Sie ziemlich weit weg waren.“ Dicki sagte das in einem Tonfall, als handle es sich bei diesem Wissen um eine ganz alltägliche Sache. „Mindestens zweihundert Meilen!“ behauptete er.
Perry Clifton war ernsthaft überrascht. Er hatte doch keinen Ton erzählt — oder? Nein, unmöglich, er hatte Dicki gestern ja gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. „Gut getroffen, Dicki!“ gab er zu. „Und woher weißt du das?“
„Als Sie heute morgen wegfuhren, war Ihr Wagen pieksauber und glänzte. Ich war vorhin, bevor ich zu Ihnen kam, für Dad am Zigarettenautomaten, da habe ich Ihren Wagen stehen sehen und unter die Lupe genommen. Ziemlich viel Schmutz unten herum. Und in den Felgen hängen teilweise Erdklumpen. Das heißt also, daß Sie nicht nur weit weg waren, sondern auch auf ziemlich miesen Feldwegen gefahren sein müssen. Daraus schließe ich, daß dieser Mister Burton was mit der Landwirtschaft zu tun haben könnte!“
Es hatte Perry Clifton im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen... Deswegen dauerte es einige Zeit, bis er sich darüber im klaren war, daß hier sein „Schüler“ gesprochen hatte. Das und die Art, wie Dicki hinter seinen Ausflug nach Duncan Hill gekommen war, verdiente eine echte Belohnung.
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