Das Geiseldrama
Straße.
Die drei Freunde waren längst
nicht mehr hier. Sonst häten sie ihn endlich gesehen, den sie suchten. Langsam
rollte Dikals Wagen an Hagedorns Villa vorbei. Lotzka saß auf dem
Beifahrersitz. Beide sahen hinüber.
„Kein Licht“, sagte Lotzka.
„Wahrscheinlich schläft der Alte schon. Ich dringe auf der Rückseite ein,
zwinge ihn, mir das Geld rauszugeben, und lasse ihn gefesselt zurück. Wenn ihn
die Aufregung umbringt, ist das seine Sache. Wir brauchen die Kohle. Fahr’ bis
zur Ecke dort.“
Dikal blieb im Wagen. Er war
nervös und hatte feuchte Hände, wollte sich aber nichts anmerken lassen.
Lotzka war schwarz gekleidet.
In einer Gürteltasche trug er Werkzeug und Waffe. Er zog sich die Schirmmütze
in die Stirn. Dann huschte er los, und im nächsten Moment hatte die Dunkelheit
ihn aufgenommen. Dikal strengte die Augen an, konnte ihn aber nicht entdecken.
Zwei Minuten später erreichte
Lotzka die Rückseite der Villa, preßte sich an die Wand. Licht fiel in den
Garten. Der Alte saß im Terrassenzimmer. Die Tür war angelehnt.
Vorsichtig spähte der Terrorist
um die Mauerkante.
Hagedorn sah nicht aus wie 82,
sondern jünger. Er war knochig, das weiße Haar zur Bürste gestutzt. Die
grimmige Miene gehörte zu seinem Gesicht wie die Nase. Wahrscheinlich war er zu
einem anderen Ausdruck nicht fähig. Er paffte eine Zigarre, beugte sich über
den Tisch und — Lotzka hielt den Atem an — zählte Geld.
Gebündelt lag es vor ihm, ordentlich
geschichtet. Beim Zählen murmelte er. Dann und wann benutzte er einen goldenen
Drehbleistift und notierte Zahlen auf einem Block.
Total verkalkt! dachte Lotzka.
Im vollen Licht, bei geöffneter Tür spielt der mit 350 000 Mark. Der ist
wirklich noch von gestern. Und mir erspart er viel Mühe.
Er grinste. Aber sein
Verhängnis nahte bereits...
*
Im Fernsehen liefen nur noch
die Spätnachrichten. Otto Görr, der Immobilien-Makler, schaltete den Apparat
aus. Eine Weile stand er am Fenster und sah in den Garten. Die Nacht war lau.
Starke Düfte wehten ihn an.
Er spielte mit dem Gedanken,
noch zur Tiffany-Bar zu fahren, wo seine Freundin Edith als Bardame arbeitete.
Aber ihm war nicht danach. Die Typen, die dort rumhingen, ödeten ihn an. Und
Edith hatte während der Arbeit sowieso keine Zeit für ihn.
Aber er war noch nicht müde.
Und nach einem kleinen Spaziergang schlief er ohnehin besser. Also hängte er
seinen nachtblauen Sommerpullover über die Schultern, verknotete die Ärmel vor
dem Hals und verließ den Bungalow. Er ging die Straße in Richtung Seibold-Park
hinauf. Niemand begegnete ihm. Er sah Glühwürmchen, dachte über zwei Geschäfte
nach, die in der Schwebe hingen, und dachte dann an den alten Hagedorn.
Wahrscheinlich konnte auch der vor Aufregung nicht schlafen. Verrückt, diese
Sammelleidenschaft!
Beim Park wandte er sich nach
links. Er folgte der Straße. Auch hier war weit und breit niemand zu sehen.
Hagedorns Garage war erst
später errichtet worden und nicht halb so alt wie das Haus. Sie verschandelte
das Grundstück. Aber das war dem Alten gleichgültig gewesen, solange er noch
seine Limousine fuhr. Seit drei Jahren war die Garage nun leer. Hagedorn
benutzte nur noch Taxis.
Die Garage stand ganz vorn im
Grundstück. Daneben war die Gartenpforte. Görr zog sein Zigarettenpäckchen
hervor. Er blieb stehen, um sein Feuerzeug anzuknipsen. Im selben Moment hörte
er den Alten.
„Halt!“ brüllte Hagedorn.
„Hiergeblieben, Kerl! Was soll das?“ Und dann: „Haltet den Dieb! Haaaaaltet
ihn!“
Das Gebrüll spielte sich hinter
dem Haus ab. Aber jemand näherte sich. Görr hörte Schritte. Jemand rannte. Über
den Gartenweg kam er heran, kam zur Pforte. Und das war nicht der Alte. Das
mußte der Dieb sein.
Görr wich zurück. Er stand
jetzt vor der Garage und damit im toten Winkel für den Fliehenden. Wenn der
durch die Pforte kam, mußte er an ihm vorbei. Aber wie ihn aufhalten?
Sein Fuß stieß gegen was
Hartes. Rasch bückte er sich. Dann hielt er einen faustgroßen Stein in der
Hand.
Jetzt waren die Schritte hinter
der Ecke.
„Haltet ihn!“ brüllte Hagedorn.
Er hatte die Verfolgung
aufgenommen, war nicht mehr hinter dem Haus, sondern kam durch den Garten.
Vor Görr tauchte eine dunkle
Gestalt auf.
Der Immobilien-Makler war eher
feige als mutig. Aber alle Vorteile standen auf seiner Seite. Und Rücksicht
kannte er nicht.
Mit aller Kraft schlug er zu.
Wie ein Hammer landete der pfundschwere Stein am Kopf der
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