Das Geiseldrama
dem Tisch. Heute morgen hatte er sie
durchgeblättert. Aber von dem verhinderten Diebstahl bei Hagedorn stand noch
nichts drin.
Er ging ins Bad, holte
Heftpflaster und Mullbinden aus dem Apotheken-Schränkchen, ein Pulver zum
Desinfizieren, schmerzstillende Tabletten und Tropfen, die den Kreislauf
belebten. Er packte alles in die Tasche.
Dann verließ er das Haus und
stieg in seinen Jaguar.
*
Ute Hollmeier, die
Sportlehrerin, saß im Bett. Sie war eine hübsche Person mit schwarzem
Kurzhaarschnitt und lebhaften Augen, in denen jetzt die Ungeduld funkelte.
Unter der Bettdecke lagen ein gesundes und ein krankes Bein. Der gebrochene
Oberschenkel war bis zur Hüfte eingegipst.
Gaby saß auf dem Besucherstuhl
— und dort wie auf Kohlen. Aber das ließ sie sich nicht anmerken. Im Gegenteil
— ihr lieblichstes Lächeln erstrahlte, und Ute Hollmeier ahnte nicht, wie sehr
ihre Besucherin in Eile war.
Sicherlich — Gaby verehrte die
Lehrerin und kam gern her, um sie zu besuchen. Aber jetzt, nach der vierten
Stunde, führte sie nur eins im Schilde: Sie wollte genau wissen, wo Dikals
Hütte lag.
Ute war noch nicht dort
gewesen. Aber Dikal hatte ihr, anläßlich seiner Einladung, das Blaue vom Himmel
vorgeschwärmt und die Lage beschrieben, als müsse er Ute den Mund wässerig
machen. Jetzt erfuhr Gaby aus eben diesem Mund, wie man zur Hütte gelangte.
Daß man von Dikal und seinem
Unfall redete, lag auf der Hand. In diesem Zusammenhang hatte Gaby nach der
Hütte gefragt.
„Oh“, meinte sie, nach einem
Blick auf die Uhr. „Leider muß ich gehen, Frau Hollmeier. Morgen bringe ich
Ihnen das Buch vorbei, ja? Das Geld können Sie mir dann erstatten. Zunächst
lege ich’s mal aus.“
„Wäre riesig nett von dir,
Gaby. Wenigstens habe ich dann übers Wochenende interessante Lektüre. Bis
Montagabend wird’s ja hier zugehen wie in einer Firma, die Konkurs (Zahlungsunfähigkeit) anmeldet: einsam und ruhig. Also dann.“
„Ich komme gegen zehn.
Anschließend fahre ich nämlich zu meiner Tante nach Schloßrain.“
Sie verabschiedete sich.
Ute hatte sie gebeten, ein
bestimmtes Buch, eine Neuerscheinung, in der Stadt zu besorgen. Und das tat sie
selbstverständlich gern.
Die Jungs warteten am Tor,
saßen schon im Sattel und blickten ihr entgegen. Tarzan hielt Gabys Rad.
„Nun?“ fragte er.
„Wir werden uns nicht
verfransen. Jetzt kenne ich den Weg genau.“
„Verläuft er vielleicht unter
schattigen Bäumen?“ erkundigte sich Klößchen besorgt. „Oder auf offener
Strecke, wo uns die Sonne das Gehirn ausdörrt?“
„Ausdörren kann bei dir
nichts“, behauptete Gaby. „Und wärst du schlank, müßtest du nicht soviel
Schweiß vergießen. Ist eigene Schuld. Anfangs jedenfalls führt der Weg über
freies Feld.“
„Mörderisch!“ stöhnte Klößchen.
Auf dem Gepäckträger hatte er
zwei Tafeln Schokolade festgeklemmt. Damit sie nicht aufweichten, waren sie
eingehüllt in Zeitungspapier.
Die TKKG-Bande brach auf. Die
Sonne stand hoch. Es war tatsächlich heiß. Wiederum kühlte der Fahrtwind. Gaby
sah frisch aus wie ein Stück Eisbombe. Sie trug ein blaues T-Shirt. Im
Halsausschnitt schimmerte ein Goldkettchen. Mit Tarzan fuhr sie an der Spitze.
Klößchen bildete wie immer das Schlußlicht, keuchend und nörgelnd.
Ob er um Ermäßigung des teuren
Schulgeldes nachsuchen solle, überlegte er laut, da er ja an den
Mittagsmahlzeiten nicht mehr teilnehmen könne. Nie mehr, vermutlich!
„Nun übertreib nicht!“ lachte
Tarzan. „Du kommst immer noch auf deine Kosten. An dir verdient die Schule
sowieso nichts — nicht bei deinem Appetit.“
Sie radelten lange. Sie folgten
der Landstraße und kamen zu der Stelle, wo Dikal verunglückt war.
Schwarz verkohlt ragte der
Baumstamm in den Himmel. Das Wrack war noch nicht beseitigt. Unter einem Schaumteppich
der Feuerwehr war es ausgeglüht.
Die vier Freunde hielten.
Erschüttert betrachteten sie die traurigen Reste von Auto und Eiche.
„Das hat er nun von seiner
Raserei“, sagte Tarzan. „Ich verstehe die Typen nicht, die Blei im Gasfuß
haben.“
„Auch ein Idiot kann schnell
fahren“, nickte Karl. „Um verantwortungsbewußt zu fahren — dazu gehört
Köpfchen.“
„Und Charakter“, fügte Gaby
hinzu. „Jeder Motorisierte weiß doch, daß er mit hohen Geschwindigkeiten nicht
nur sich selbst gefährdet, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer.“
„Der Molch hat im Unglück noch
Glück gehabt“, meinte Klößchen. „Wenn man sich
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