Das Geiseldrama
seine
Tasse zu voll gegossen und mußte erst abtrinken, sich also Vorbeugen und vom
Rand schlürfen, ehe er sie anheben konnte.
„Schwimmbad ist schön und gut“,
fuhr Tarzan fort. „Aber ein See in freier Natur ist besser. Nicht wahr?“
„Wohl, wohl“, meinte Karl. Er
hatte sich die Lippen verbrannt. Der Tee war noch zu heiß.
„Ich, für meine Person, werde
eine kleine Radtour machen und dann — baden. In einem hübschen See. Kommst du
mit?“
Karl hob den Blick.
„Nachtigall, ick hör dir trapsen! Mit dem hübschen See zum Baden meinst du
sicherlich den Schloßrainer See?“
Tarzan grinste.
„Klar, komme ich mit“, nickte
Karl. „Willi wird sicherlich streiken. 40 Kilometer bei der Hitze — und dann
wieder zurück: dazu ist er zu faul. Aber Gaby wird überrascht sein, wenn wir
ihr plötzlich auf den Füßen stehen.“
„Gaby?“ Tarzan machte eine
Unschuldsmiene. „Ach so! Ja, richtig. Sie ist ja heute in Schloßrain bei der
Tante Susanne. Na, das soll uns nicht abhalten.“
„Nee, das soll uns nicht
abhalten.“
Dann lachten beide so laut, daß
Karls Mutter hereinschaute und sich nach dem Grund der Heiterkeit erkundigte.
Aber bevor die Jungs was
erklären konnten, klingelte das Telefon. Frau Vierstein ging zum Apparat.
„Also abgemacht“, sagte Tarzan.
„Wir legen einen Zahn zu. In einer Stunde können wir fertig sein. Ohne Pfusch,
natürlich! Sondern nach tadelfeiner Wertarbeit. Dann zischen wir los.“
Er begann, schneller zu kauen,
um die Pause abzukürzen. Plötzlich hob er den Kopf.
„...um Gottes willen, Frau Glockner“,
hörte er Frau Vierstein sagen — drüben im Wintergarten, wo jetzt das Telefon
stand. „Unvorstellbar! Grausig! Ja, vielen Dank, daß Sie uns verständigt haben.
Aber es wird bestimmt alles gut. Wir... wir bleiben in Verbindung. Sie halten
uns auf dem Laufenden, nicht wahr? Bis später, meine Liebe.“
Tarzan und Karl sahen sich an.
Karls Mutter kam herein. Die
Fröhlichkeit von vorhin war ausgelöscht. Schreck weitete Frau Viersteins Augen,
und sie war blasser als der Kleister im Leimtopf.
„Jungs, behaltet jetzt die
Nerven! Das ist wichtig. Ihr könnt sowieso nichts ändern. Also, Gabys Mutter
hat mich verständigt. Sie erfuhr eben von ihrem Mann, daß eure Schule — ja,
eure Schule — besetzt wurde. Von Terroristen. Von der Brigade Staatsfeind. Man
hat alle Anwesenden als Geiseln genommen: Schüler und Lehrer.“
Die Nachricht schlug ein wie
eine Bombe. Tarzan war aufgesprungen. Rasch schluckte er einen Brocken
hinunter,
„Der arme Willi“, meinte Karl,
nachdem er die Sprache wiedergefunden hatte. „Sie werden ihm nicht genug zu
essen geben. Und das ist das letzte, was er verträgt.“
„Haben die Terroristen
Verbindung mit der Polizei aufgenommen?“ fragte Tarzan.
Frau Vierstein nickte. „Mit
Kommissar Glockner. Es geht um Lotzkas Freilassung. Ihn im Austausch gegen die
Geiseln.“
„Verrückt!“ Tarzan schüttelte
den Kopf.
„Herr Glockner hat auch gleich
Klößchens Eltern verständigt. Sauerlichs sind schon im Präsidium und — krank
vor Angst.“
„Kann ich mir denken!“ nickte
Tarzan. „Sie werden sich Vorwürfe machen, daß Willi im Internat wohnen darf —
wo doch sein Elternhaus nur eine halbe Fahrradstunde entfernt ist. Aber wenn
der Zufall es will, kann es einen hier wie dort erwischen. Genauso wie es
Zufall ist, daß ich jetzt hier bin und nicht im Adlernest. Stünde das
Tapezieren nicht an, hätte ich an meine Mutter geschrieben.“
Frau Vierstein nickte. Sie
druckste. Ihr Blick haftete am Küchenboden. Sie schluckte verzweifelt und
wollte gelassen wirken. Aber sie war keine gute Schauspielerin.
„Mutter!“ sagte Karl. „Ist
sonst noch was?“
„Ich... eigentlich... ihr... na
gut, es ist wohl doch besser, ich sage es euch: Gaby... also, Gaby ist auch bei
den Geiseln.“
Tarzan lächelte. „Nein, das
wissen wir besser. Gaby ist bei ihrer Tante am Schloßrainer See.“
„Leider nicht. Sie hat noch
etwas für Frau Hollmeier besorgt und ihr gebracht. Dadurch ist sie
hineingeraten. Sie war gerade dort, als die Terroristen Zugriffen. Am Telefon
durfte sie mit ihrem Vater sprechen. Aber nur ein paar Worte.“
Tarzan legte seinen
angebissenen Toast auf den Teller, streifte den Arbeitskittel ab und hängte ihn
über die Lehne des Küchenstuhls. Sein Gesicht zeigte keine Bewegung.
„Sie werden verstehen, Frau
Vierstein, daß wir das Tapezieren unter diesen Umständen auf später
verschieben. Darf ich
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