Das Geisterhaus
seinem Familienwappen und
beobachtete neben allen bekannten Höflichkeitsregeln auch
noch andere, selbsterfundene, etwa die, Artischocken mit einer
Zange zu essen, was allgemeine Verblüffung hervorrief. Die
Männer machten sich hinter seinem Rücken über ihn lustig, aber
bald wurde ersichtlich, daß sie seine Eleganz, seine
Wildlederschuhe, seinen unerschütterlichen Gleichmut und sein
kultiviertes Äußere zu imitieren versuchten. Der Grafentitel hob
ihn auf eine andere Ebene als alle übrigen Emigranten, seien es
nun die im vergangenen Jahrhundert auf der Flucht vor Seuchen
ausgewanderten Zentraleuropäer, die vom Bürgerkrieg
vertriebenen Spanier, die Auswanderer aus dem mittleren Osten
mit ihren türkischen Geschäft en oder die Armenier, die
asiatische Gerichte und Ramsch verkauften. Graf de Satigny
hatte es nicht nötig, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen,
wie er jedermann wissen ließ. Das Geschäft mit den Chinchillas
war für ihn nur ein Zeitvertreib.
Esteban
hatte Chinchillas auf seinem Gut herumhuschen
sehen. Gelegentlich schoß er sie ab, weil sie die junge Saat
fraßen, war aber nie auf den Gedanken gekommen, daß sich
diese unscheinbaren Nagetiere in Damenpelzmäntel umwandeln
ließen. Jean de Satigny suchte eine n Kompagnon, der das
Kapital, die Arbeit und die Gehege stellte, alle Risiken
übernahm und den Gewinn fünfzig zu fünfzig mit ihm teilte.
Esteban Trueba war in keiner Hinsicht ein Abenteurer, aber der
französische Graf besaß jene beschwingte Anmut und
Genialität, die ihn zu fesseln vermochten. Also brachte er sich
nächtelang um den Schlaf, um das Chinchillaprojekt zu
durchdenken und Berechnungen anzustellen. Unterdessen
verbrachte Monsieur de Satigny lange Wochen als Ehrengast auf
den Drei Marien. Er spielte in der prallen Sonne mit seiner
Kugel, trank Unmengen ungezuckerten Melonensaft und strich
unauffällig um Biancas Keramikfiguren herum. Er schlug ihr
vor, die Krippen auf bestimmte Märkte zu exportieren, wo es
sicheren Absatz für indianisches Kunstwerk gab. Bianca
versuchte, ihn von seinem Irrtum abzubringen, indem sie
erklärte, daß weder sie eine Indianerin noch ihre Figuren
indianisches Kunsthandwerk seien, aber Sprachschwierigkeiten
verhinderten, daß er ihren Einwand verstand. Für die Familie
Trueba erwies sich der Graf als eine soziale Errungenschaft,
denn kaum hatte er sich auf dem Gut niedergelassen, regnete es
Einladungen auf die Nachbargüter, zu Begegnungen mit den
politischen Größen des Dorfs und sonstigen kulturellen und
gesellschaftlichen Ereignissen in der Gegend. Auf die
ansteckende Wirkung seiner Vornehmheit hoffend, wollten alle
ihm nahe sein, die jungen Mädchen seufzten bei seinem
Anblick, die Mütter, die ihn gern als Schwiegersohn gesehen
hätten, rissen sich um die Ehre, ihn einzuladen. Die Männer
beneideten Esteban Trueba um das Glück, zu dem Geschäft mit
den Chinchillas erwählt worden zu sein. Die einzige, die sich
von dem Charme des Franzosen nicht blenden ließ und nicht
einmal beeindruckt war von seiner Art, Orangen mit Messer und
Gabel zu schälen, ohne sie mit den Fingern zu berühren, so daß
die Schale in Form einer offenen Blüte auf dem Teller
zurückblieb, oder von seinem Geschick, französische Dichter
und Philosophen in seiner Muttersprache zu zitieren, war Clara,
die ihn nach seinem Namen fragen mußte, sooft sie ihn sah, und
jedesmal verblüfft war, wenn er ihr im seidenen Morgenmantel
auf dem Weg zum Badezimmer ihres Hauses begegnete. Bianca
hingegen amüsierte sich mit ihm und ergriff dankbar die
Gelegenheit, ihre besten Kleider anzuzie hen, sich sorgfältig zu
frisieren und den Tisch mit dem englischen Porzellan und den
silbernen Leuchtern zu decken.
»Wenigstens holt er uns aus der Barbarei heraus«, sagte sie.
Esteban Trueba war weniger von dem Firlefanz des Adligen
als von den Chinchillas beeindruckt. Warum, zum Teufel,
dachte er, war er nicht selbst auf die Idee gekommen, ihre Felle
zu gerben, statt so viele Jahre mit der Aufzucht dieser
vermaledeiten Hühner zu vergeuden, die bei jeder Kleinigkeit
Durchfall bekamen und eingingen, und mit diesen Kühen, die
für jeden Liter Milch, den man ihnen abzapfte, einen Hektar
Futter und eine Schachtel Vitamine brauchten und obendrein
alles mit Fliegen und Mist verpesteten. Clara und Pedro
Segundo García teilten seine Begeisterung für die Nagetiere
nicht, Clara aus Gründen der Menschlichkeit, weil sie es
grausam fand, sie
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