Das Geisterhaus
Marien war eine
große Erleichterung. Sie brachten einen Schwall von Frische
und Lustigkeit in die bedrückte Atmosphäre des Hauses. Keiner
der beiden Brüder wußte den Zauber des adligen Franzosen zu
schätzen, obwohl er diskrete Anstrengungen unternahm, die
Sympathie der jungen Leute zu gewinnen. Jaime und Nicolas
spotteten über sein Benehmen, seine Schwulenschuhe und
seinen ausländischen Namen, aber Jean de Satigny nahm es
nicht übel. Seine gute Laune entwaffnete sie schließlich, und sie
lebten den Rest des Sommers auf freundschaftlichem Fuß, ja sie
verbündeten sich sogar mit ihm, um Bianca von dem Eigensinn
abzubringen, in den sie sich verrannt hatte.
»Du bist schon vierundzwanzig, Bianca. Willst du eine alte
Jungfer werden?« sagten sie. Sie ermunterten sie, sich das Haar
kurz zu schneiden und sich aus den Modejournalen die Kleider
zu kopieren, die derzeit letzter Schrei waren, aber sie hatte kein
Interesse an dieser Mode, die nicht die geringste Chance hatte,
die Staubwolken auf dem Land zu überleben.
Die Zwillinge unterschieden sich so sehr voneinander, daß sie
nicht wie Brüder wirkten. Jaime war groß, kräftig, schüchtern
und lerneifrig. Aufgrund der Erziehung im College hatte er im
Sport eine athletische Muskulatur entwickelt, aber in
Wirklichkeit hielt er Sport für eine strapaziöse und nutzlose
Sache. Es war ihm unverständlich, daß Jean de Satigny mit
solcher Begeisterung stundenlang eine Kugel mit dem Stock
verfolgen konnte, um sie in ein Loch zu bugsieren, wo es doch
viel einfacher war, sie in die Hand zu nehmen und
hineinzulegen. Er hatte merkwürdige Ticks, die sich damals zu
äußern begannen und sich im Lauf seines Lebens verstärkten. Er
mochte es nicht, daß man mit dem Atem zu nahe an ihn
herankam, daß man ihm die Hand gab, daß man ihm persönliche
Fragen stellte, daß man sich Bücher bei ihm auslieh oder ihm
Briefe schrieb. Das erschwerte den Umgang mit ihm, isolierte
ihn aber keineswegs, denn jedem, der ihn fünf Minuten lang
kannte, war klar, daß er bei aller Griesgrämigkeit großzügig und
arglos war und großer Zärtlichkeit fähig, die er vergeblich zu
verbergen suchte, weil er sich ihrer schämte. Er hatte sehr viel
mehr Interesse an anderen, als er zugeben wollte, und es war
leicht, sein Mitgefühl zu erregen. Die Hintersassen auf den Drei
Marien nannten ihn »Patroncito« und liefen zu ihm, sooft sie
etwas brauchten. Jaime hörte sie wortlos an, antwortete einsilbig
und kehrte ihnen den Rücken, aber er ruhte nicht, bis er ihr
Problem gelöst hatte. Er war scheu, und seine Mutter sagte, daß
er sich schon als Kind nicht habe liebkosen lassen. Er hatte von
klein auf seltsame Anwandlungen, war imstande, sich die
Kleider auszuziehen, die er am Leib trug, um sie einem anderen
zu geben, und hatte das auch mehrmals getan. Stimmungen und
Gefühlsausbrüche erschienen ihm als ein Zeichen von
Minderwertigkeit, und nur Tieren gegenüber legte er seine
übertriebene Schamhaftigkeit ab. Er wälzte sich mit ihnen auf
dem Boden, fütterte sie ins Maul, streichelte sie, mit einem
Hund in jedem Arm schlief er ein. Das gleiche konnte er mit
sehr kleinen Kindern tun, vorausgesetzt, daß ihn niemand
beobachtete, denn vor den Leuten spielte er lieber die Rolle des
mürrischen, einsamen Mannes. Zwölf Jahre britischer Erziehung
im College hatten den als unübertreffliches Attribut des
Gentleman geltenden Spleen bei ihm nicht entwickeln können.
Er war und blieb ein unverbesserlicher Gefühlsmensch. Deshalb
interessierte er sich für Politik, und aus dem gleichen Grund
beschloß er, nicht, wie sein Vater wollte, Rechtsanwalt, sondern
Arzt zu werden, um den Hilfsbedürftigen helfen zu können, wie
es seine Mutter, die ihn besser kannte, angeregt hatte. Jaime
hatte in seiner ganzen Kindheit mit Pedro Tercero García
gespielt, aber bewundern lernte er ihn erst in diesem Jahr.
Bianca mußte ein paar Rendezvous am Fluß opfern, damit sich
die jungen Männer treffen konnten. Sie sprachen über
Gerechtigkeit, über Gleichheit, über Bauernbewegung und
Sozialismus, während Bianca ihnen ungeduldig zuhörte und
wünschte, daß sie bald aufhörten, damit sie mit ihrem Geliebten
allein wäre. Diese Freundschaft verband die zwei Männer bis zu
ihrem Tode, ohne daß Esteban Trueba es auch nur ahnte.
Nicolas war schön wie ein vornehmes junges Mädchen. Er
hatte von seiner Mutter die zarte, durchscheinende Haut geerbt,
war klein und schmächtig,
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