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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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aber schlau und schnell wie ein
Fuchs. Von brillanter Intelligenz, übertraf er seinen Bruder
mühelos in allem, was sie gemeinsam unternahmen. Er hatte ein
Spiel erfunden, um ihn auf die Folter zu spannen: er übernahm
die Rolle des Widerparts bei einem beliebigen Thema und
argumentierte so geschickt und treffend, daß Jaime am Ende
überzeugt war, er habe sich geirrt, und sich gezwungen sah,
seinen Irrtum zuzugeben. »Bist du auch ganz sicher, daß ich
recht habe?« fragte Nicolas am Ende seinen Bruder.
    »Ja, du hast recht«, knurrte Jaime, der zu aufrichtig war, um
mit Scheinargumenten zu fechten.
»Ah, das freut mich«, rief Nicolas. »Jetzt werde ich dir
beweisen, daß du es bist der recht hat, und daß ich mich geirrt
habe. Ich werde dir jetzt die Argumente liefern, die du gegen
mich hättest vorbringen müssen, wenn du schlau gewesen
wärest.«
Jaime verlor die Geduld, fiel mit Schlägen über ihn her,
bereute es aber sofort wieder, weil er wesentlich stärker als sein
Bruder war und die eigene physische Kraft Schuldgefühle bei
ihm auslöste. Im College bot Nicolas seinen Verstand auf, um
die anderen zu ärgern, und wenn er sich in die Lage versetzt sah,
es gegen Handgreiflichkeiten aufzunehmen, rief er seinen
Bruder, damit dieser sich für ihn schlug, während er selbst hinter
ihm stand und ihn anspornte. Jaime gewöhnte sich daran, sein
Gesicht für Nicolas hinzuhalten, und es erschien ihm natürlich,
daß er an seiner Stelle bestraft wurde, daß er seine Aufgaben
machte und seine Lügen bemäntelte. Von Frauen abgesehen,
war Nicolas in dieser Periode seiner Jugend am meisten daran
interessiert, das gleiche Geschick im Vorhersagen der Zukunft
zu entwickeln wie Clara. Er kaufte sich Bücher über
Geheimgesellschaften, Horoskope und alles, was mit
übernatürlichen Dingen zusammenhing. In diesem Jahr hatte er
sich darauf verlegt, Wunder zu entlarven. Er kaufte sich eine
billige Ausgabe der »Leben der Heiligen« und suchte den
ganzen Sommer über nach handfesten Erklärungen für
unerhörte, im Geist der Frömmigkeit begangene Taten. Seine
Mutter lachte ihn aus.
»Wie willst du Wunder begeifen, wenn du nicht einmal weißt,
wie ein Telefon funktioniert, Nicolas?«
Nicolas’ Interesse an übernatürlichen Vorgängen hatte sich
erstmals einige Jahre zuvor geäußert. An den Wochenenden, an
denen er das Internat verlassen durfte, besuchte er die drei
Schwestern Mora in ihrer alten Mühle, um bei ihnen die
okkulten Wissenschaften zu erlernen. Aber bald zeigte sich, daß
er keinerlei natürliche Begabung für Hellsehen oder Telekinese
besaß, so daß er sich mit den mechanischen Verfahren,
astrologischen Karten, Tarot und chinesischen Stäbchen
begnügen mußte. Und wie eins das andere gibt, lernte er im
Haus der Schwestern Mora ein schönes junges Mädchen kennen,
Amanda, die einige Jahre älter als er war und die ihn in YogaMeditation und Akupunktur einführte, Wissenschaften, mit
denen Nicolas Rheuma und andere kleinere Übel heilen lernte,
mehr immerhin, als sein Bruder mit der traditionellen Medizin
nach sieben Jahren Studium fertigbrachte. Aber das war erst viel
später. In diesem Sommer war er zweiundzwanzig und
langweilte sich auf dem Land. Sein Bruder, der sich selbst zum
Beschützer jungfräulicher Tugend auf den Drei Marien ernannt
hatte, bewachte ihn streng, was Nicolas jedoch nicht hinderte,
fast die gesamte weibliche Jugend der Gegend mit dieserorts
unbekannten galanten Künsten zu verführen. Die übrige Zeit
verbrachte er mit Wunderforschung, dem Erlernen der Tricks,
mit denen seine Mutter aus der Entfernung das Salzfaß in
Bewegung setzte, und mit dem Abfassen leidenschaftlicher
Verse an Amanda, die sie ihm per Post korrigiert und verbessert
zurückschickte, ohne daß er sich entmutigen ließ.
    Pedro Garcia der Alte starb kurz vor den
Präsidentschaftswahlen. Das Land war aufgewühlt von
politischer Propaganda, die Wahlzüge fuhren von Norden nach
Süden durchs Land und brachten die Kandidaten der
verschiedenen Parteien: im Kreis ihrer Gefolgsleute schauten sie
aus dem letzten Waggon, grüßten alle auf die gleiche Weise,
versprachen alle dasselbe im Geflatter der Fähnchen und einer
Lärmkulisse aus Gesangvereinen und Lautsprechern, die die
Ruhe der Landschaft zerriß und das Vieh scheu machte. Der
Alte hatte so lange gelebt, daß er nur noch ein Häuflein
gläserner Knochen unter gelblicher Haut und sein Gesicht eine
Klöppelspitze aus Falten war.

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