Das Geisterhaus
Aufgaben, die ihrem Leben einen Sinn gaben. Sie war eine
karitative, großzügige Frau und bestrebt, alle, die um sie waren,
glücklich zu machen. Alle, außer mir. Nach dem Erdbeben
bauten wir den Kramladen wieder auf, und ihr zu Gefallen
verzichtete ich auf das System mit den rosa Zettelchen und
bezahlte die Leute von nun an in Geldscheinen, weil Clara sagte,
damit könnten die Leute im Dorf einkaufen und Geld sparen. Es
stimmte aber nicht. Es führte nur dazu, daß sich die Männer in
der Kneipe von San Lucas betranken und die Frauen und Kinder
Not litten. Über solche Dinge stritten wir uns oft. Die
Hintersassen waren der Grund für alle unsere
Auseinandersetzungen. Gut, nicht für alle. Auch über den
Weltkrieg diskutierten wir. Ich verfo lgte den Vormarsch der
Nazitruppen auf einer Landkarte, die ich im Salon an der Wand
aufgehängt hatte, und Clara strickte Socken für die Soldaten der
Alliierten. Bianca schlug sich mit beiden Händen an den Kopf,
sie konnte nicht begreifen, weshalb wir uns über einen Krieg
ereiferten, der sich auf der anderen Seite des Ozeans abspielte
und uns nichts anging. Vermutlich hatten unsere
Mißverständnisse andere Gründe. Jedenfalls waren wir uns
selten über etwas einig. Ich glaube nicht, daß mein schlechter
Charakter an allem schuld war, ich war trotz allem ein guter
Ehemann, nicht einmal mehr der Schatten des Wüterichs, der ich
als Junggeselle gewesen war. Für mich war sie die einzige Frau.
Sie ist es noch.
Eines Tages ließ Clara einen Riegel an ihrer Schlafzimmertür
anbringen und ließ mich nicht mehr in ihr Bett, außer bei den
seltenen Gelegenheiten, bei denen ich sie so bedrängte, daß eine
Weigerung einem definitiven Bruch gleichgekommen wäre.
Zuerst dachte ich, sie hätte eines dieser mysteriösen Leiden, die
Frauen manchmal bekommen, oder es wäre die Menopause,
aber als sich die Sache über Wochen hinzog, beschloß ich, mit
ihr darüber zu reden. Sie erklärte mir in aller Ruhe, unsere
ehelichen Beziehungen hätten sich so verschlechtert, daß sie ihre
Bereitschaft zum fleischlichen Umgang verloren habe, und
daraus, daß wir uns nichts mehr zu sagen hätten, leitete sie ganz
selbstverständlich ab, daß wir auch das Bett nicht mehr teilen
könnten, und schien erstaunt, daß ich den ganzen Tag auf sie
einschimpfen konnte und nachts ihre Liebkosungen haben
wollte. Ich versuchte ihr klarzumachen, daß wir Männer uns
darin von den Frauen etwas unterscheiden und daß ich sie trotz
aller meiner Unarten anbetete, aber es war zwecklos. In dieser
Zeit war ich trotz des Unfalls und obwohl Clara wesentlich
jünger war als ich, gesünder und stärker als sie. Ich war mit
zunehmendem Alter mager geworden, ich hatte kein Gramm
Fett am Körper und erhielt mir die Widerstandsfähigkeit und
Kraft meiner jungen Jahre. Ich konnte den ganzen Tag reiten
und auf jeder noch so unbequemen Unterlage schlafen, ich aß,
was es gerade gab, ohne die Blase, die Leber und alle anderen
inneren Organe zu spüren, von denen die Leute immerzu reden.
Die Knochen allerdings, die taten mir weh. An kalten Abenden
oder in feuchten Nächten war der Schmerz der vom Erdbeben
gequetschten Knochen so stark, daß ich ins Kissen biß, damit
mich niemand stöhnen hörte. Wenn ich es nicht mehr aushielt,
goß ich mir einen tüchtigen Schluck Schnaps mit zwei Aspirin
in den Rachen, aber auch das half wenig. Das Merkwürdige ist,
daß meine Sinnlichkeit im Alter zwar selektiver wurde, ich aber
fast so entflammbar blieb wie in meiner Jugend. Ich sah Frauen
immer noch gern, ich tue es heute noch. Es ist ein ästhetisches,
fast ein geistiges Vergnügen. Aber nur Clara weckte ein
konkretes, unmittelbares Verlangen in mir, vielleicht, weil wir
uns in unserem langen gemeinsamen Leben kennengelernt
hatten und jeder die genaue Topographie des ändern in den
Fingerspitzen hatte. Sie wußte, wo ich meine gefühlvollen
Stellen hatte, und konnte mir genau das sagen, was ich hören
wollte. In einem Alter, in dem die meisten Männer ihre Frauen
satt haben und andere Frauen brauchen, damit es funkt, war ich
überzeugt, daß ich nur mit Clara so schlafen konnte, wie wir in
unseren Flitterwochen unermüdlich geschlafen hatten. Ich kam
nicht in Versuchung, mir eine andere Frau zu suchen. Ich
erinnere mich noch genau, wie ich sie zu belagern begann, wenn
es dunkel wurde. Clara saß da und schrieb, und ich tat so, als
würde ich meine Pfeife genießen, aber in
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