Das Geisterhaus
Wirklichkeit
beobachtete ich sie aus den Augenwinkeln. Sobald ich den
Eindruck hatte, daß sie sich gleich zurückziehen würde - wenn
sie anfing, die Feder abzuputzen und die Hefte
zusammenzulegen -, kam ich ihr zuvor. Ich hinkte ins Bad,
machte mich schön und zog den bischöflichen Plüschschlafrock
an, den ich gekauft hatte, um sie zu verführen, von dessen
Existenz sie jedoch keinerlei Notiz zu nehmen schien. Ich
lauschte an der Tür und wartete. Wenn ich sie über den Gang
kommen hörte, ging ich zum Angriff über. Alles habe ich
versucht. Ich habe sie überschüttet mit Schmeicheleien und
Geschenken, und ich habe ihr gedroht, ich würde ihre Tür
einschlagen und sie windelweich prügeln, aber weder das eine
noch das andere schloß die Kluft zwischen uns. Vermutlich war
es überhaupt zwecklos zu versuchen, sie durch mein nächtliches
Liebeswerben die schlechte Laune vergessen zu machen, mit der
ich ihr tagsüber zur Last fiel. Clara übersah mich mit dieser
zerstreuten Miene, die ich am Ende haßte. Ich kann nicht
begreifen, was mich an ihr so sehr anzog. Sie war eine reife Frau
ohne jede Koketterie, die schon ein wenig schlurfte und längst
diese großartige Lustigkeit verloren hatte, die sie in ihrer Jugend
so anziehend gemacht hatte. Ich bin sicher, daß sie mich nicht
geliebt hat. Ich hatte keinen Grund, sie in dieser maßlosen und
brutalen Weise zu begehren, die mich selbst zur Verzweiflung
brachte und mich lächerlich machte. Aber ich konnte nicht
anders. Ihre knappen Bewegungen, ihr zarter Geruch nach
frischer Wäsche und Seife, der Glanz in ihren Augen, die Anmut
ihres schlanken Nackens unter den widerspenstigen Löckchen:
alles gefiel mir an ihr. Ihre Zerbrechlichkeit löste eine
unerträgliche Zärtlichkeit bei mir aus. Ich wollte sie beschützen,
sie in meinen Armen halten, sie wie in alten Zeiten zum Lachen
bringen, ich wollte sie beim Schlafen neben mir haben, ihren
Kopf an meiner Schulter, ihre Beine angezogen unter den
meinen, ihre Hand auf meiner Brust, klein und warm,
verwundbar und köstlich. Manc hmal schlug sie mir vor, ich
solle sie doch durch Nichtachtung strafen, aber nach ein paar
Tagen war ich der Geschlagene, denn sie schien viel ruhiger und
glücklicher zu sein, wenn ich sie übersah. Ich bohrte ein Loch in
die Wand des Badezimmers, um sie nackt zu sehen, aber das
regte mich dermaßen auf, daß ich es lieber wieder zumörtelte.
Um sie zu verletzen, verkündete ich laut, ich würde wieder in
den Farolito Rojo gehen, aber sie meinte nur, das sei jedenfalls
besser, als Bäuerinnen zu vergewaltigen, und das überraschte
mich, weil ich dachte, daß sie davon nichts wüßte. Wegen dieser
Äußerung versuchte ich es wieder mit den Vergewaltigungen,
nur um sie zu ärgern. Aber dabei mußte ich feststellen, daß die
Zeit und das Erdbeben meiner Männlichkeit geschadet hatten
und es mir an Kraft fehlte, ein gut gebautes Mädchen um die
Taille zu fassen und auf die Kruppe meines Pferdes zu heben,
erst recht nicht, ihr die Kleider vorn Leib zu reißen und sie
gegen ihren Willen zu nehmen. Ich war in dem Alter, in dem
man zur Liebe Hilfe und Zärtlichkeit braucht. Ich war, zum
Teufel, alt geworden.
Er war der einzige, der merkte, daß er kleiner wurde. Er
konstatierte es an den Kleidern. Es war nicht bloß so, daß sie
ihm in den Nähten zu weit wurden, sondern die Ärmel und
Hosenbeine wurden ihm zu lang. Unter dem Vorwand, er sei
abgemagert, bat er Bianca, sie ihm auf der Nähmaschine kürzer
zu machen, fragte sich aber beunruhigt, ob ihm nicht Pedro
Garcia der Alte die Knochen verkehrt zusammengesteckt habe
und er aus diesem Grund schrumpfe. Er sprach mit niemandem
darüber, wie er auch aus Stolz seine Schmerzen verschwieg.
In diesen Tagen wurden die Präsidentschaftswahlen
vorbereitet. Bei einem der Abendessen mit konservativen
Politikern lernte Esteban Trueba Graf Jean de Satigny kennen.
Er trug Wildlederschuhe und eine Rohleinenjacke, schwitzte im
Gegensatz zu den übrigen Sterblichen nie, sondern roch nach
englischem Kölnischwasser und war aufgrund seiner
Gewohnheit, in der prallen Mittagssonne eine Kugel mit dem
Stock in ein kleines Loch zu schlagen, immer braungebrannt.
Beim Sprechen zog er die letzten Silben der Wörter nach, und
das R verschluckte er ganz. Er war der einzige Mann in
Estebans Bekanntschaft, der sich die Fingernägel lackierte und
seinen Augen mittels Tropfen ein tie feres Blau verlieh. Er
benutzte Visitenkarten mit
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