Das Geisterhaus
Gewissen gelegt hatte. Er
fand sich ab mit dem Verlust des Geldes, das er in dieses
Geschäft gesteckt hatte, und schloß sich in sein Zimmer ein, um
sich neue Methoden auszudenken, wie er Geld verdienen und
sich dabei gleichzeitig amüsieren konnte. »Ich habe Amanda
schon lange nicht mehr gesehen«, sagte
Jaime, als er die
Ungeduld seines Herzens nicht mehr bemeistern konnte.
Da erinnerte sich Nicolás Amandas, und er rechnete nach, daß
er sie seit drei Wochen nicht mehr durchs Haus hatte gehen
sehen, daß sie weder bei seinem gescheiterten Versuch, im
Ballon aufzusteigen, noch bei der Eröffnung seiner SandwichHeimindustrie zugegen gewesen war. Er erkundigte sich bei
Clara, aber auch seine Mutter wußte nichts von ihr und hatte
schon begonnen, sie zu vergessen, da sie ihr Gedächtnis dem
unausweichlichen Umstand anpassen mußte, daß ihr Haus ein
Taubenschlag war und, wie sie sagte, ihre Seele nicht ausreichte,
alle Abwesenden zu beweinen. Da beschloß Nicolas, sie suchen
zu gehen, weil er merkte, daß ihm die Gegenwart des unruhigen
Schmetterlings Amanda fehlte und er sich sehnte nach ihren
erstickten, schweigenden Umarmungen in den leerstehenden
Zimmern des großen Eckhauses, in denen sie wie junge Hunde
getobt hatten, sooft Claras Wachsamkeit nachließ und Miguel
mit Spielen abgelenkt war oder in irgendeinem Winkel schlief.
Die Pension, in der
Amanda mit ihrem kleinen Bruder
wohnte, war ein altmodisches Haus, das vor einem halben
Jahrhundert wahrscheinlich von einiger Pracht gewesen war, die
es aber in ebendem Maße eingebüßt hatte, in welchem sich die
Stadt bis auf die Hänge der Kordilleren ausbreitete. Als erste
zogen arabische Händler ein, die es mit auffälligen rosa
Gipsgesimsen zierten, und später, als die Araber ihre Läden in
das Türkenviertel verlegten, baute der Eigentümer das Haus in
eine Pension um, indem er es in traurige, schlecht beleuchtete
Zimmer und ungemütliche Bruchbuden für wenig bemittelte
Mieter aufteilte. Es bot dem Besucher eine unmögliche
Geographie schmaler, feuchter Gänge dar, in denen es
permanent nach Kohlsuppe und Hühnerbrühe roch. Die
Pensionsbesitzerin in Person öffnete Nicolas, ein gewaltiges
Weib mit einem ehrfurchtgebietenden dreifachen Kinn, tief in
Fettpolster eingebetteten orientalischen Äuglein, Ringen an allen
Fingern und dem Gebaren einer Novizin.
»Wir empfangen keine männlichen Besucher«, sagte sie.
Aber
Nicolas entfaltete sein unwiderstehliches
Verführerlächeln, küßte ihr die Hand, ohne sich von dem
ekelerregenden Karmesinrot ihrer schwarzgerandeten
Fingernägel abstoßen zu lassen, begeisterte sich über ihre Ringe
und gab sich als Vetter ersten Grades von Amanda aus, bis sie,
hingeschmolzen, unter kokettem Gekicher zurücktrat, ihn über
die staubige Treppe in den dritten Stock führte und ihm die Tür
von Amandas Zimmer wies. Nicolas fand das junge Mädchen
im Bett liegend, eingewickelt in einen verblichenen Wollschal
und Dame spielend mit ihrem Bruder Miguel. Sie war so grün
und so abgemagert, daß er sie kaum erkannte. Amanda sah ihn
an, ohne zu lächeln und begrüßte ihn mit keiner Geste. Miguel
aber stellte sich vor ihn hin, die Arme in die Hüften gestemmt.
»Endlich kommst du«, sagte der kleine Junge.
Nicolas trat ans Bett und versuchte sich die geschmeidige,
braunhäutige
Amanda ins Gedächtnis zu rufen, die
schönhüglige, fruchtgleiche Amanda der Schäferstündchen in
der Dunkelheit hinter geschlossenen Türen, aber in der
verfilzten Wolle des Schals und den grauen Bettüchern lag eine
Unbekannte mit großen, wilden, in unerklärlicher Härte auf ihn
gerichteten Augen.
»Amanda«, sagte er leise, ihre Hand nehmend. Diese Hand,
ohne die Ringe und silbernen Armbänder, schien hilflos wie der
Fuß eines sterbenden Vogels. Amanda rief ihren Bruder. Miguel
trat ans Bett, und sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. Langsam ging
der Kleine zur Tür und warf Nicolas von der Schwelle aus einen
letzten wütenden Blick zu, ehe er die Tür geräuschlos schloß.
»Verzeih mir, Amanda«, stammelte Nicolas. »Ich hatte viel zu
tun. Warum hast du mich nicht wissen lassen, daß du krank
bist?«
»Ich bin nicht krank«, antwortete sie, »ich bin schwanger.«
Das Wort schmerzte Nicolas wie eine Ohrfeige. Er wich
zurück, bis er die Fensterscheibe im Rücken spürte. Von dem
Augenblick an, da er Amanda zum erstenmal auszog, tastend
und sich im Dunkeln in ihrer Existentialistenkleidung
verheddernd,
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