Das Geisterhaus
vor Enttäuschung
und Wut hinter der geschlossenen Tür seines Arbeitszimmers.
Er versuchte sich einzureden, daß Jaimes Überspanntheit
verginge, wenn er reifer würde, und daß er früher oder später der
ausgeglichene Mann sein würde, der ihm bei seinen Geschäften
zur Hand gehen und eine Stütze seines Alters werden könnte.
Was seinen anderen Sohn anging, so hatte er jede Hoffnung
verloren. Nicolas sprang aus einem phantastischen Unternehmen
ins andere. Dieser Tage trug er sich mit der Illusion, er könnte,
wie vor Jahren sein Großonkel Marcos, mit einem ausgefallenen
Transportmittel die Kordilleren überfliegen. Er hatte
beschlossen, in einem
Ballon aufzusteigen, überzeugt, das
Schauspiel der zwischen den Wolken schwebenden Riesenkugel
würde von so unwiderstehlicher Werbewirksamkeit sein, daß
jedwede Mineralwasserfabrik sein Vorhaben fördern würde. Er
kopierte ein Vorkrie gsmodell des deutschen Zeppelin, das
mittels heißer Luft aufstieg und das in seiner Gondel ein bis
zwei Personen von unerschrockener Sinnesart befördern konnte.
Die aufblasbare Riesenwurst herzustellen, ihre geheimen
Mechanismen, die Windströmungen, die Weissagungen und die
Gesetze der Aerodynamik zu studieren hielt ihn wochenlang in
Atem. Er vergaß darüber die freitäglichen Spiritismussitzungen
seiner Mutter und der drei Schwestern Mora und bemerkte nicht
einmal, daß Amanda aufgehört hatte, ins Haus zu kommen.
Sobald das Luftschiff fertig war, stieß Nicolas auf ein Hindernis,
mit dem er nicht gerechnet hatte: der Leiter der
Mineralwasserfabrik, ein Gringo aus Arkansas, weigerte sich,
das Unternehmen zu finanzieren, unter dem Vorwand, daß der
Verkauf seines Gebräus zurückgehen würde, falls sich Nicolas
in dem Artefakt den Hals bräche. Nicolas versuchte andere
Auftraggeber zu finden, aber keiner biß an. Das konnte ihn
jedoch von seinem Vorhaben nicht abbringen. Er beschloß, in
jedem Falle aufzusteigen, und sei es gratis. Am festgesetzten
Tag strickte Clara ungerührt weiter, ohne von den
Vorbereitungen, die ihr Sohn traf, Notiz zu nehmen, obwohl die
Familie, die Nachbarn und die Freunde über den aberwitzigen
Plan, in dieser mörderischen Maschine das Gebirge zu
überfliegen, außer sich waren.
»Ich habe das Gefühl, daß er nicht aufsteigen wird«, sagte
Clara, ohne mit Stricken aufzuhören.
Und so kam es. Im letzten Augenblick erschien ein kleiner
Laster voll Polizisten in der öffentlichen Anlage, die Nicolas
sich für den Aufstieg ausgesucht hatte. Sie forderten ihn auf,
eine Genehmigung der Stadt vorzuweisen, die er
selbstverständlich nicht hatte. Er bekam sie auch nicht. Vier
Tage lang lief er von einer Dienststelle zur ändern in einem
verzweiflungsvollen Papierkrieg, der an einer Mauer
bürokratischer Verständnislosigkeit scheiterte. Nie erfuhr er, daß
hinter dem Polizeiwagen und dem endlosen Formalitätenstreit
der Einfluß seines Vaters stand, der nicht bereit war, dieses
Abenteuer zuzulassen. Nicolas, des Kampfs gegen den Kleinmut
der Mineralwasserfabrikanten und gegen die Luftbürokratie
müde, sah ein, daß er nicht aufsteigen konnte, es sei denn, er täte
es im verborgenen, was angesichts der Ausmaße seines
Luftschiffes unmöglich war. Er verfiel in eine Angstkrise, aus
der ihm seine Mutter heraushalf, indem sie ihm vorschlug, er
solle das Ballonmaterial zu irgendeinem praktischen Zweck
verwenden, damit nicht alles investierte Geld verloren sei. Da
dachte sich Nicolas die Fabrikation der Hühnersandwiches aus.
Sein Plan war, mit Hühnerfleisch belegte Brote herzustellen, sie
in die zu diesem Zweck kleingeschnittene Ballonhülle zu
verpacken und an Büroangestellte zu verkaufen. Die weitläufige
Küche seines Elternhauses erschien ihm ideal für seine
Industrie. Bald hingen im hinteren Garten Reihen von Hühnern
mit zusammengebundenen Beinen, die darauf warteten, daß
ihnen der speziell dazu angemietete Schlachter serienweise den
Hals durchschnitt. Der Hof füllte sich mit Federn, das Blut
spritzte auf die olympischen Göttergestalten, der Geruch von
Hühnerbrühe schlug sich jedermann auf den Magen, und durch
den Schlachtbetrieb wurden die Fliegen im ganzen Viertel zur
Plage, als Clara mit einer Nervenkrise, die sie beinahe in die
Zeiten der Stummheit zurückversetzte, dem Gemetzel ein Ende
setzte. Der neuerliche geschäftliche Fehlschlag ging Nicolas
weniger nahe, weil sich auch ihm das unter den Hühnern
angerichtete Blutbad auf Magen und
Weitere Kostenlose Bücher