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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Bruder Jaime, daß er uns hilft«, schlug Amanda
vor.
    Jaime empfing seinen Bruder in seinem Büchertunnel. Er lag
auf seiner Rekrutenpritsche und las im Licht der von der Decke
baumelnden Glühbirne die Liebesgedichte des Dichters, der
damals schon den Weltruhm besaß, den Clara ihm vorausgesagt
hatte, als sie ihn bei einem ihrer literarischen Abende zum
erstenmal mit tellurischer Stimme seine Verse lesen hörte.
Vielleicht, spekulierte Jaime, hatte die Anwesenheit Amandas
im Garten der Trueba dem Dichter diese Verse eingegeben,
denn damals, als er noch häufig im großen Eckhaus zu Gast war,
hatte er gern zur Teestunde auf der Terrasse gesessen und über
Lieder der Verzweiflung gesprochen. Der Besuch seines
Bruders überraschte ihn, weil sie sich seit ihrem Abgang aus der
Schule jeden Tag weiter voneinander entfernt hatten. In der
letzten Zeit hatten sie sich schlechterdings nichts mehr zu sagen
gehabt und sich nur noch mit einem Nicken gegrüßt, wenn sie,
selten genug, im Hauseingang aufeindertrafen. Jaime hatte den
Gedanken aufgegeben, er könne
Nicolas für die wichtigen
Fragen des Lebens interessieren.
    Nach wie vor empfand er den frivolen Zeitvertreib seines
Bruders als persönliche Beleidigung, er konnte nicht
akzeptieren, daß er seine Zeit und seine Kraft mit Ballonflügen
und Hühnermassakern verwendete, während es im Barrio de la
Misericordia so viel zu tun gab. Aber er versuchte nicht mehr,
ihn ins Krankenhaus mitnehmen, damit er das Leid aus der Nähe
sähe, in der Hoffnung, fremdes Elend würde das flatterhafte
Herz seines Bruders rühren; er nahm ihn auch nicht mehr mit zu
den Versammlungen im Haus Pedro Tercero Garcías in der
letzten Straße der Arbeitersiedlung, wo sie sich, von der Polizei
bespitzelt, jeden Donnerstag trafen. Nicolas spöttelte über sein
soziales Engagement. Nur ein Narr mit der Berufung zum
Apostel, meinte er, könne durch die Welt gehen, um sie mit dem
Kerzenstummel nach Unglück und Häßlichkeit abzusuchen. Nun
stand sein Bruder vor ihm und sah ihn mit der gleichen
flehenden und zerknirschten Miene an, mit der er schon so oft
seine brüderliche Liebe für sich mobilisiert hatte.
»Amanda ist schwanger«, sagte Nicolas ohne Preliminarien.
    Er mußte es wiederholen, denn Jaime blieb regungslos liegen,
in der gleichen scheuen Haltung wie immer, ohne auch nur mit
einer Geste zu verraten, daß er gehört hatte. Innerlich aber
verschlug ihm die Enttäuschung den Atem. Im stillen rief er
Amanda bei ihrem Namen, klammerte sich an den sanften Klang
des Wortes, um die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren. Sein
Bedürfnis, sich seine Illusion zu erhalten, war so groß gewesen,
daß er am Ende überzeugt gewesen war, die Beziehung
zwischen Amanda und Nicolas sei eine Liebe zwischen Kindern,
die über Spaziergänge Hand in Hand, Diskussionen bei einer
Flasche Wermut und die wenigen flüchtigen Küsse, bei denen er
sie überrascht hatte, nicht hinausginge. Er hatte sich der
schmerzhaften Wahrheit verweigert, der er nun ins Auge sehen
mußte.
    »Erzähl mir das nicht, ich habe damit nichts zu tun«, sagte er,
sobald er einen Ton herausbringen konnte.
Nicolas ließ sich aufs Fußende des Bettes fallen und schlug
die Hände vors Gesicht.
»Bitte, du mußt ihr helfen«, bat er.
Jaime schloß die Augen und atmete stoßweise, bemüht, die
rasenden Gefühle zu zügeln, die ihn drängten, seinen Bruder
umzubringen, hinzugehen und selbst Amanda zu heiraten, vor
Ohnmacht und Enttäuschung zu weinen. Er sah das junge
Mädchen so vor sich, wie sie ihm immer erschien, wenn
Liebeskummer ihn übermannte. Er sah sie wie einen Schall
reiner Luft das Haus betreten und wieder verlassen, ihren
kleinen Bruder an der Hand, er hörte ihr Lachen auf der
Terrasse, er roch das kaum wahrnehmbare, sanfte Aroma ihrer
Haut und ihres Haars, wenn sie unter der Mittagssonne an ihm
vorbeiging. Er sah sie so, wie er sie in seinen Mußestunden sich
vorstellte, wenn er von ihr träumte. Und vor allem dachte er an
jenes einzige Mal, als Amanda sein Schlafzimmer betreten hatte
und sie allein gewesen waren in der Intimität seines
sakrosankten Zimmers. Ohne anzuklopfen war sie
hereingekommen, während er auf seiner Pritsche lag, und hatte
den Tunnel mit dem Flattern ihres langen Haars und dem
sanften Fließen ihrer Arme erfüllt, ohne Scheu hatte sie die
Bücher berührt, ja, es gewagt, sie aus ihren geheiligten Regalen
zu nehmen, hatte ohne allen Respekt den Staub von

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