Das Geisterhaus
der junge Mann verfiel einer tiefen Depression und
wiederholte unaufhörlich, das Leben habe keinen Sinn mehr für
ihn, weil Bianca für ihn verloren sei und er auch nicht mehr
Gitarre spielen könne, was sein einziger Trost gewesen sei. Pater
José Dulce Maria wartete, bis die verstümmelten Finger dank
der kräftigen Konstitution des jungen Mannes vernarbten, dann
setzte er ihn auf einen Karren und fuhr mit ihm ins
Indianerreservat. Er stellte ihn dort einer hundertjährigen Frau
vor, die nicht mehr sehen konnte und deren Finger vom Rheuma
verkrüppelt waren, die aber noch die Willenskraft besaß, mit den
Füßen Körbe zu flechten. »Wenn sie mit den Füßen Körbe
macht, kannst du ohne Finger Gitarre spielen«, sagte er. Dann
erzählte er ihm seine eigene Geschichte.
»Auch ich war in deinem Alter verliebt, mein Sohn. Meine
Braut war das schönste Mädchen im Dorf. Wir wollten heiraten.
Sie stickte schon an ihrer Aussteuer, ich sparte auf ein kleines
Häuschen. Da wurde ich zum Militärdienst abkommandiert. Als
ich zurückkam, hatte sie einen Metzger geheiratet und war eine
dicke Señora geworden. Ich war drauf und dran, mich mit einem
Stein an den Füßen in den Fluß zu stürzen, aber dann beschloß
ich, Pfarrer zu werden. Ein Jahr, nachdem ich ins Kloster
eingetreten war, wurde sie Witwe und kam in die Kirche, um
mich mit schmachtenden Augen anzusehen.« Das freie Lachen
des riesenhaften Jesuiten entlockte Pedro
Tercero das erste
Lächeln seit drei Wochen. »Du siehst, mein Sohn«, schloß Pater
José Dulce Maria, »daß man nie verzweifeln soll. Eines Tages,
wenn du es am wenigsten erwartest, wirst du Bianca
wiedersehen.«
Geheilt an Leib und Seele, fuhr Pedro Tercero in die
Hauptstadt. Er hatte ein Bündel Kleider bei sich und ein paar
Münzen, die der Pfarrer von der Sonntagskollekte für ihn
abgezweigt hatte. Von ihm hatte er auch die Adresse eines
Sozialistenführers, der ihn für die ersten Tage in seinem Haus
aufnahm und ihm eine Arbeit als Sänger in einer Künstlerkneipe
verschaffte. Pedro
Tercero zog in eine Arbeitersiedlung. Er
bewohnte eine Hütte, die mit einem Bettrost auf Beinen, einer
Matratze, einem Stuhl und zwei Kisten als Tisch möbliert war
und die ihm wie ein Palast erschien. Von hier aus half er den
Sozialismus verbreiten und kaute an seinem Ärger darüber, daß
Bianca einen anderen geheiratet hatte. Die Erklärungen und
tröstlichen Worte, die Jaime ihm gab, ließ er nicht gelten. In
kurzer Zeit beherrschte er wieder die rechte Hand, indem er den
Einsatz der ihm gebliebenen Finger vervielfachte, und
komponierte neue Lieder über Hennen und verfolgte Füchse.
Eines Tages wurde er aufgefordert, an einem
Rundfunkprogramm teilzunehmen, und das war der Anfang
einer schwindelerregenden Popularität, die er selbst nicht
erwartet hatte. Seine Stimme war von nun an oft im Radio zu
hören, und sein Name wurde bekannt. Senator Trueba allerdings
hörte ihn nie, weil er Rundfunkgeräte in seinem Haus nicht
duldete. Er betrachtete das Radio als eine Erfindung für das
ungebildete Volk zur Verbreitung verhängnisvoller Einflüsse
und platter Ideen. Niemand stand populärer Musik ferner als er,
der an Vokalmusik nur die Oper ertrug und die ZarzuelaEnsembles, die jeden Winter aus Spanien kamen.
An dem Tag, an dem Jaime nach Hause kam und als Neuestes
verkündete, er wolle seinen Familiennamen ändern, weil seine
Kameraden an der Universität ihn anfeindeten und die Arbeiter
im Barrio de la Misericordia ihm mißtrauten, seit sein Vater
Senator der Konservativen Partei geworden war, verlor Esteban
Trueba die Geduld und war nahe daran, ihn zu ohrfeigen,
beherrschte sich aber gerade noch, weil er an dem Blick seines
Sohnes merkte, daß er es diesmal nicht dulden würde.
»Ich habe geheiratet, um rechtmäßige Söhne zu haben, die
meinen Namen tragen, und nicht Bastarde, die den der Mutter
führen«, brüllte er, fahl vor Wut.
Zwei Wochen später hörte er in den Gängen des Kongresses
und in den Salons des Clubs erzählen, daß sein Sohn Jaime sich
auf der Plaza Brasil die Hosen ausgezogen habe, um sie einem
Armen zu geben, und in Unterhosen fünfzehn Blocks weit nach
Hause gegangen sei, gefolgt von einer Schar Kindern und
Gaffern, die ihn hochleben ließen. Da er es müde war, seine
Ehre gegen Lächerlichkeit und üble Nachrede zu verteidigen,
erlaubte er seinem Sohn, jeden Namen zu tragen, den er wolle,
nur nicht den seinen. An diesem Tag weinte er
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