Das Geisterhaus
Stadt, es fehlt ihnen an nichts, und selbst, wenn ein Jahr mit
Dürre oder Überschwemmungen oder einem Erdbeben kommt,
sorge ich dafür, daß hier keiner Not leidet. Eines Tages, wenn
du groß genug bist, sollst du das tun, und deshalb nehme ich
dich immer auf die Drei Marien mit, damit du jeden Stein und
jedes Tier kennenlernst und vor allem jeden Menschen mit
Vornamen und Nachnamen. Hast du das verstanden?«
In Wirklichkeit hatte Alba kaum Kontakt mit den Bauern und
war weit davon entfernt, jeden mit Vornamen und Nachnamen
zu kennen. Das war der Grund, weshalb sie den braunhäutigen,
linkischen, grobschlächtigen jungen Mann mit den
Nagetieraugen nicht erkannte, der eines Tages an die Tür des
großen Eckhauses klopfte. Er trug einen dunklen, viel zu engen
Anzug. An den Knien, den Ellbogen und den Hosenboden war
der Stoff abgewetzt bis auf einen glänzenden Film. Er wollte
den Senator Trueba sprechen, sagte er, und stellte sich vor als
Sohn eines Hintersassen auf den Drei Marien. Obwohl
normalerweise Leute seines Standes durch den
Dienstboteneingang ins Haus kamen und in der Vorküche
warteten, wurde er in die Bibliothek geführt, denn an diesem
Tag wurde ein Fest im Haus gegeben, zu dem alle höheren
Chargen der Konservativen Partei erwartet wurden. In der
Küche wimmelte ein Heer von Köchen und Küchenjungen, die
Trueba aus dem Club geholt hatte, und das Durcheinander und
die Eile waren so groß, daß ein Besuch nur gestört hätte. Es war
ein Nachmittag im Winter, und die Bibliothek war dunkel und
still, erhellt nur von dem Feuer, das im Kamin knisterte. Es roch
nach Holzpolitur und Leder.
»Du kannst hier warten, aber rühr nichts an. Der Senator
kommt gleich«, sagte das Stubenmädchen von oben herab und
ließ ihn allein.
Der junge Mann wagte nicht, sich zu bewegen. Mit dem Blick
durchmaß er den Raum, kauend an seinem Zorn darüber, daß
dies alles ihm hätte gehören können, wenn er legitimer
Abstammung gewesen wäre, wie ihm seine Großmutter, Pancha
García, so oft erklärt hatte, ehe sie gestorben war und ihn
endgültig verwaist im großen Haufen seiner Geschwister und
Vettern zurückgelassen hatte. Nur seine Großmutter hatte ihn
vor den übrigen ausgezeichnet und dafür gesorgt, daß er nicht
vergaß, daß er anders war als die anderen, weil in seinen Adern
das Blut des Patrons floß. Er betrachtete die Bibliothek, und ihm
war, als müßte er ersticken. An allen Wänden standen Regale
aus poliertem Mahagoni, außer zu beiden Seiten des Kamins, wo
zwei Vitrinen standen, vollgestopft mit Figuren aus Elfenbein
und fernöstlichen Halbedelsteinen. Das Zimmer hatte doppelte
Höhe, einzige Kaprice des Architekten, der sein Großvater
zugestimmt hatte. Ein Balkon, zu dem eine schmiedeeiserne
Wendeltreppe hinaufführte, markierte das zweite Geschoß über
den Regalen. Die besten Bilder des Hauses hingen hier, weil
Esteban Trueba diesen Raum zu seinem Allerheiligsten, seinem
Arbeitszimmer, seinem Refugium gemacht hatte und die Stücke,
die er am meisten schätzte, um sich haben wollte. Die
Wandschränke waren vom Boden bis zur Decke mit Büchern
und Kunstgegenständen gefüllt. Dann waren da ein großer
schwarzer Schreibtisch in spanischem Stil, mächtige, mit
schwarzem Leder bezogene Sessel, vier Perserteppiche lagen
auf dem Eichenparkett, und mehrere Leselampen mit
Pergamentschirmen waren strategisch so angebracht, daß man
gutes Licht zum Lesen hatte, wo immer man saß. In diesem
Raum führte Senator Trueba vorzugsweise seine politischen
Gespräche, hier heckte er seine Intrigen aus und schmiedete
seine Geschäfte, und hier schloß er sich in seinen einsamsten
Stunden ein, um seiner Wut, seiner Enttäuschung oder seiner
Traurigkeit freien Lauf zu lassen. Das alles konnte der Bauer
nicht wissen, der auf dem Teppich stand, nicht wußte, was er
mit seinen Händen anfangen sollte, und vor Befangenheit
schwitzte. Diese herrschaftliche, schwere, erdrückende
Bibliothek entsprach genau dem Bild, das er sich vom Patron
gemacht hatte. Er erschauerte vor Haß und vor Angst. Nie war
er an einem solchen Ort gewesen, und bis zu diesem Augenblick
hatte er geglaubt, daß es auf der Welt nichts Luxuriöseres gab
als das Kino von San Lucas, in das die Lehrerin einmal die
ganze Klasse geführt hatte, um einen Tarzanfilm anzusehen. Es
hatte ihn viel gekostet, erst den Entschluß zu fassen, dann seine
Familie zu überreden und schließlich allein und ohne Geld die
Reise in
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