Das Geisterhaus
nächsten
Morgen stand sie nicht auf, und als das Stubenmädchen mit dem
Frühstück kam, ließ sie nicht zu, daß sie die Vorhänge öffnete.
Sie hatte sich auch vom Licht schon verabschiedet, um langsam
in die Schauen hinüberzugehe n.
Jaime, der benachrichtigt wurde, sah nach ihr und ging nicht
eher, als bis sie sich untersuchen ließ. Er konnte äußerlich nichts
Anomales feststellen, wußte aber zweifelsfrei, daß sie sterben
würde. Er verließ das Zimmer mit einem breiten, heuchlerische n
Lächeln, aber sobald er außer Sichtweite seiner Mutter war,
mußte er sich an die Wand lehnen, weil ihm die Beine
versagten. Er sagte es keinem im Haus. Er rief einen
Spezialisten, seinen ehemaligen Lehrer an der Medizinischen
Fakultät, und dieser erschien noch am selben Tag im Hause
Trueba. Nachdem er Clara gesehen hatte, bestätigte er Jaimes
Diagnose. Sie riefen die Familie im Salon zusammen und
eröffneten ihr ohne Vorbereitung, daß Clara höchstens noch
zwei bis drei Wochen leben würde und daß man nichts mehr tun
könne, als bei ihr zu sein, damit sie zufrieden starb.
»Ich glaube, sie hat beschlossen zu sterben, und dagegen hat
die Wissenschaft kein Mittel«, sagte Jaime.
Esteban Trueba packte seinen Sohn am Hals und hätte ihn
beinahe erwürgt. Er stieß den Spezialisten aus dem Zimmer,
dann zerschlug er mit seinem Stock die Lampen und das
Porzellan im Salon. Zuletzt fiel er auf die Knie und wimmerte
wie ein Säugling. Alba kam herein und sah ihren Großvater auf
gleicher Höhe mit sich, sie trat näher, betrachtete ihn eine Weile
überrascht, und als sie seine Tränen sah, umarmte sie ihn. Dem
Weinen des alten Mannes entnahm sie die Nachricht. Die
einzige Person im Haus, die nicht die Ruhe verlor, war sie, teils,
weil sie im Ertragen von Schmerz trainiert war, teils auch, weil
ihre Großmutter ihr oft das Sterben und die Angst vor dem Tode
erklärt hatte. »Wie in dem Augenblick, wo wir auf die Welt
kommen, haben wir auch im Sterben Angst vor dem
Unbekannten. Aber die Angst ist etwas Inneres und hat nichts
mit der Wirklichkeit zu tun. Sterben ist wie geboren werden: nur
eine Veränderung«, hatte Clara gesagt.
Sie hatte hinzugefügt, daß, wenn sie sich ohne Mühe mit den
Seelen im Jenseits verständigen könne, sie ganz sicher sei,
dasselbe auch mit den Seelen des Diesseits tun zu können, so
daß Alba, statt zu heulen, lieber ganz ruhig sein solle, wenn es
soweit sei, denn in ihrem Fall sei der Tod keine Trennung,
sondern eine Form, noch inniger vereint zu sein. Alba verstand
das vollkommen.
Bald danach schien Clara in einen sanften Schlaf zu fallen,
und nur die sichtbare Anstrengung, Luft in ihre Lungen zu
pumpen, zeigte an, daß sie noch am Leben war. Doch schien die
Atemnot sie nicht zu beängstigen, da sie um ihr Leben nicht
kämpfte. Ihre Enkelin blieb die ganze Zeit bei ihr. Sie mußten
ihr ein Bett auf dem Boden herrichten, weil sie sich weigerte,
das Zimmer zu verlassen, und als sie versuchten, sie mit Gewalt
wegzubringen, stieß sie zum erstenmal mit den Füßen. Sie
beharrte darauf, daß ihre Großmutter alles wahrnehme und daß
sie sie brauche. So war es. Kurz vor dem Ende erlangte Clara
noch einmal das Bewußtsein und konnte in Ruhe sprechen. Das
erste, was sie bemerkte, war Albas Hand zwischen den ihren.
»Ich werde sterben, nicht wahr, Kleines?« fragte sie.
»Ja, Großmutter, aber das macht nichts, weil ich bei dir bin«,
antwortete das kleine Mädchen.
»Gut. Unter dem Bett steht eine Schachtel. Hol sie hervor und
verteile die Karten, die darin sind, denn ich werde mich nicht
mehr von allen verabschieden können.«
Clara schloß die Auge n, seufzte befriedigt und ging in die
andere Welt hinüber, ohne sich umzuschauen. Um sie herum
stand die ganze Familie: Jaime und Bianca, abgemagert durch
die Nachtwachen, Nicolas, der Gebete in Sanskrit murmelte,
Esteban mit zugekniffenem Mund und geballten Fäusten,
unendlich wütend und verzweifelt, und die kleine Alba, die
einzige, die gelassen blieb. Auch die Dienstboten waren da, die
Schwestern Mora, ein paar bitterarme Künstler, die während der
letzten Monate im Haus überlebt hatten, und ein Priester, den
die Köchin gerufen hatte, der aber nichts zu tun hatte, weil
Trueba nicht zuließ, daß er die Sterbende in ihrer letzten Stunde
mit Beichten und Weihwasserspritzen belästigte.
Jaime beugte sich über ihren Körper, nach einem winzigen
Herzschlag suchend, fand aber keinen.
»Mama ist von uns
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