Das Geisterhaus
sah ich Rosa die Schöne mit ihren
bräutlichen Orangenblüten, ihrem grünen Haar, ihrer
unerschütterlichen Schönheit, genau so, wie ich sie vor vielen
Jahren in ihrem weißen Sarg auf dem Eßzimmertisch meiner
Schwiegereltern gesehen hatte. Hingerissen betrachtete ich sie,
ohne mich darüber zu wundern, daß die Zeit spurlos an ihr
vorübergegangen war: sie war noch dieselbe wie in meinen
Träumen.
Ich bückte mich hinunter und drückte durch das Glas, das
über ihrem Gesicht la g, einen Kuß auf die bleichen Lippen der
unendlich Geliebten. In diesem Augenblick wehte ein kleines
Lüftchen durch die Zypressen, schlüpfte verstohlen durch
irgendeine Ritze des Sargs, der bis dahin hermetisch geschlossen
war, und im Nu löste sich die unwandelbare Braut wie durch
Zauber auf und zerfiel in feinen grauen Staub. Als ich den Kopf
hob und die Augen aufschlug, den kalten Kuß noch auf den
Lippen, war es schon nicht mehr Rosa die Schöne. An ihrer
Stelle lag ein Totenkopf mit leeren Augenhöhlen, ein paar
Streifen elfenbeinfarbener Haut auf den Backenknochen und ein
paar Strähnen modrigen Haars im Nacken.
Jaime und der Wärter legten hastig den Deckel auf den Sarg,
hoben Rosa auf einen kleinen Wagen und brachten sie zu der
neben Clara für sie reservierten Stelle im lachsfarbenen
Mausoleum. Ich blieb auf einem Grab in der Zypressenallee
sitzen und betrachtete den Mond.
»Férula hatte recht«, dachte ich. »Ich bin allein geblieben und
werde an Leib und Seele kleiner. Es fehlt nur noch, daß ich wie
ein Hund sterbe.«
Senator Trueba kämpfte gegen seine politischen Feinde, die
der Eroberung der Macht täglich näher kamen. Während andere
führende Persönlichkeiten der Konservativen Partei alt und dick
wurden und mit endlosen byzantinischen Debatten die Zeit
verplemperten, arbeitete er ausdauernd, informierte sich,
bereiste das Land in einer nie endenden persönlichen
Wahlkampagne von Norden nach Süden, ohne Rücksicht auf
sein Alter und das dumpfe Rumoren in seinen Knochen. Bei
jeder parlamentarischen Wahl wurde er als Senator
wiedergewählt. Aber es war nicht die Macht, der Reichtum oder
das Prestige, was ihn interessierte. Er war davon besessen, das,
wie er sagte, »marxistische Krebsgeschwür« zu vernichten, das
sich immer tiefer ins Volk hineinfraß.
»Man hebt einen Stein auf, und ein Kommunist ist darunter«,
sagte er.
Keiner glaubte ihm mehr. Nicht einmal die Kommunisten. Sie
belächelten ihn ein wenig wegen seiner Zornausbrüche, seiner
Aufmachung als schwarzer Trauerrabe, seines anachronistischen
Stocks und seiner apokalyptischen Prognosen. Wenn er seinen
Parteifreunden die Statistiken und die wirklichen Ergebnisse der
letzten Wahlen unter die Nase hielt, nahmen sie seine
beschwörenden Worte für das Gefasel eines alten Mannes.
»An dem Tag, an dem wir uns die Urnen nic ht mehr holen
können, ehe die Stimmzettel ausgezählt werden, sind wir
geliefert!« behauptete Trueba.
»Nirgends haben die Marxisten durch Volksabstimmung
gewonnen. Dazu ist mindestens eine Revolution nötig, und so
etwas passiert in unserem Land nicht«, entgegneten sie.
»So lange, bis es doch passiert«, konterte Trueba zornig.
»Beruhige dich, Mann. Wir werden nicht zulassen, daß es
passiert«, trösteten sie ihn. »Der Marxismus hat in
Lateinamerika nicht die geringste Chance. Siehst du nicht, daß
er die magische Seite der Dinge außer acht läßt? Er ist eine
atheistische, praktische, funktionale Doktrin, und so etwas hat
hierzulande keinen Erfolg.«
Nicht einmal Oberst Hurtado, der Feinde des Vaterlands sah,
wohin er blickte, hielt die Kommunisten für eine Gefahr. Mehr
als einmal setzte er ihm auseinander, daß die Kommunistische
Partei nichts sei als eine Handvoll Hungerleider, die statistisch
gesehen bedeutungslos wären und von Moskau aus gelenkt
würden mit einem Aufwand, der einer besseren Sache würdig
wäre.
»Moskau liegt, wo der Teufel den Poncho verloren hat,
Esteban«, sagte Oberst
Hurtado. »Dort übersehen sie die
besonderen Bedingungen in unserem Land vollständig, sonst
würden sie hier nicht herumlaufen wie Rotkäppchen im Wald.
Vor kurzem haben sie ein Manifest veröffentlicht, in dem
Bauern, Seeleute und Indios aufgerufen werden, sich dem ersten
chilenischen Sowjet anzuschließen, und das ist in jeder Hinsicht
eine Posse. Als ob die Bauern wüßten, was ein Sowjet ist! Und
die Seeleute sind immerzu auf hoher See und interessieren sich
für die Bordelle in
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