Das Geisterhaus
anderen Ländern weit mehr als für Politik.
Und die Indios! Alles in allem bleiben uns noch ganze
zweihundert. Mehr, glaube ich, haben die Massaker des letzten
Jahrhunderts nicht überlebt. Aber wenn sie in ihren Reservaten
einen Sowjet bilden wollen, bitte, sollen sie doch«, spottete der
Oberst.
»Ja, aber außer den Marxisten gibt es auch die Sozialisten, die
Radikalen und andere kleine Gruppen. Alle sind mehr oder
weniger dasselbe«, antwortete Trueba.
Für Senator Trueba waren alle politischen Parteien außer der
seinen potentiell marxistisch, er sah keinen klaren Unterschied
zwischen ihren Ideologien. Und er zögerte auch nicht, seine
Ansichten öffentlich auszusprechen, sooft sich eine Gelegenheit
dazu bot, weshalb Senator Trueba bei allen, außer bei seinen
Parteifreunden, als eine Art höchst pittoresker reaktionärer und
oligargischer Spinner galt. Die Konservative Partei mußte ihn
bremsen, damit ihm die Zunge nicht durchging und er sie alle
blamierte. Er war der furiose Paladin und bereit, die Schlacht
auf öffentlichen Plätzen, bei Pressekonferenzen und in den
Universitäten zu schlagen: dort, wo längst keiner mehr das
Gesicht zu zeigen wagte, stand er unerschütterlich in seinem
schwarzen Anzug, mit seiner Löwenmähne und seinem
silbernen Stock. Er wurde die Zielscheibe der Karikaturisten, die
durch ihre ewigen Spötteleien erreichten, daß er populär wurde.
Bei allen Wahlen erhielt er die konservativen Stimmen. Er war
fanatisch, heftig und antiquiert, aber er repräsentierte besser als
irgend jemand die Werte der Familie, der Tradition, des
Eigentums und der Ordnung. Jedermann erkannte ihn auf der
Straße, man machte Witze auf seine Kosten, und die Anekdoten,
die man sich von ihm erzählte, gingen von Mund zu Mund.
Anläßlich seiner Herzattacke, hieß es, als sich sein Sohn vor den
Toren des Kongresses nackt auszog, habe ihn der Präsident der
Republik zu sich gerufen und ihm die Schweizer Botschaft
angeboten, damit er sich in einem seinen Jahren angemessenen
Amt erholen könne. Senator Trueba, erzählte man sich, habe als
Antwort mit der Faust auf den Schreibtisch des obersten
Würdenträgers gehauen, daß die chilenische Fahne und die
Büste des Vaters des Vaterlandes umgestürzt seien.
»Nicht einmal als toter Mann gehe ich hier weg, Exzellenz«,
brüllte er. »Denn wenn ich nicht aufpasse, ziehen Ihnen die
Marxisten den Sessel weg, auf dem Sie sitzen.«
Er als erster war so geschickt, die Linke als den »Feind der
Demokratie« zu bezeichnen, nicht ahnend, daß ein paar Jahre
später eben dies die Losung der Diktatur sein würde. Er steckte
seine ganze Zeit und einen guten Teil seines Vermögens in den
politischen Kampf. Er stellte fest, daß dieses Vermögen seit
Claras Tod dahinzuschmelzen schien, obwohl er immer neue
Geschäfte einfädelte, aber das beunruhigte ihn nicht, weil er
davon ausging, daß zu den unbestreitbaren Tatsachen der
natürlichen Ordnung der Dinge auch die gehörte, daß Clara eine
Glückssträhne in seinem Leben gewesen war, von der er nach
ihrem Tod nicht weiter profitieren konnte. Er fühlte sich alt, er
hatte die Vorstellung, daß keines seiner drei Kinder ihn zu
beerben verdiene und seine Enkelin mit den Drei Marien
gesichert sein würde, obwohl das Gut nicht mehr so ertragreich
war wie früher. Dank neuer Straßen und Autos hatte sich die
Reise von der Hauptstadt nach den Drei Marien, die früher eine
Eisenbahnsafari gewesen war, erheblich verkürzt, aber er war
immerzu beschäftigt und fand keinen passenden Moment, um
hinzufahren. Von Zeit zu Zeit ließ er den Verwalter kommen,
um sich Rechenschaft ablegen zu lassen, aber nach diesen
Besuchen hatte er Katzenjammer und schlechte Laune für
mehrere Tage. Sein Verwalter war ein Mann, den der eigene
Pessimismus zum Scheitern verurteilte. Seine Berichte waren
eine einzige Litanei widriger Umstände: die Erdbeeren waren
erfroren, die Hennen hatten sich mit dem Pips angesteckt, die
Trauben waren von der Pest befallen worden. So wurde ihm das
Gut, das früher eine Quelle seines Reichtums gewesen war, zur
Belastung, und häufig mußte Senator Trueba Geld aus anderen
Geschäften abziehen und sie dieser unersättlichen Erde in den
Rachen werfen, die eine Neigung zu verspüren schien, in die
Zeiten der Verwahrlosung zurückzufallen, aus denen er sie
errettet hatte.
»Ich muß hin und Ordnung schaffen. Dort fehlt das Auge des
Herrn«, murmelte er.
»Auf dem Land geht alles
Weitere Kostenlose Bücher