Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
Vom Netzwerk:
Brettern und
Erdsäcken in den verbarrikadierten Fenstern und sah auf der
Straße die in Zweierreihen aufgestellten Panzerwagen und die
mit Helmen, Schlagstöcken und Gasmasken kriegsmäßig
ausgerüsteten Männer. Sie begriff, daß ihr Großvater nicht
übertrieben hatte. Auch die anderen hatten es gesehen, und
einige zitterten. Jemand erzählte, es gebe jetzt neue Bomben, die
schlimmer seien
ais Tränengasbomben: sie führten zu
unkontrollierbarem Dauerscheißen, und der Gestank und die
Lächerlichkeit brächten selbst die Tapfersten zum Aufgeben.
Alba erschien diese Vorstellung entsetzlich. Sie mußte sich
ungeheuer anstrengen, um nicht zu weinen. Sie fühlte Stiche im
Bauch und nahm an, es sei die Angst. Miguel legte den Arm um
sie, aber das tröstete sie nicht. Beide waren sie übermüdet und
begannen die schlechte Nacht in den Knochen und in der Seele
zu spüren.
    »Ich glaube nicht, daß sie sich trauen werden
hereinzukommen«, sagte Sebastián Gómez. »Die Regierung hat
schon genug Probleme. Sie wird sich nicht auch noch mit uns
anlegen.«
»Es wäre nicht das erstemal, daß sie gegen Studenten
vorgeht«, warf jemand ein.
     
»Die öffentliche Meinung wird das nicht zulassen. Wir sind
eine Demokratie. Chile ist keine Diktatur und wird es nie sein.«
    »Man denkt immer, daß so etwas nur anderswo passiert«,
sagte Miguel. »So lange, bis es auch bei uns passiert.«
Der Rest des Abends verlief ohne Zwischenfälle, und in der
Nacht waren alle ruhiger, trotz dauernder Unbequemlichkeit und
Hunger. Die kleinen Panzerwagen blieben auf ihren Posten. In
den langen Gängen und in den Hörsälen spielten die jungen
Leute Katze und Maus oder Karten oder streckten sich auf dem
Boden aus, um auszuruhen, oder bastelten aus Stöcken und
Steinen Abwehrwaffen. Die Müdigkeit stand in allen
Gesichtern. Alba fühlte die Krämpfe im Bauch stärker werden
und dachte, daß ihr nichts anderes übrigbliebe, als das Loch im
Hof zu benützen, wenn die Sache bis zum Morgen nicht besser
würde. Draußen regnete es weiter, und der Betrieb in der Stadt
hielt unverändert an. Niemand schien einen neuen
Studentenstreik wichtig zu nehmen, die Menschen gingen an
den Panzerwagen vorbei, ohne stehenzubleiben und die an der
Fassade der Universität aufgehängten Transparante zu lesen. Die
Leute aus der Nachbarschaft hatten sich rasch an die
Anwesenheit der Militärpolizei gewöhnt, und als der Regen
aufhörte, kamen Kinder und spielten Ball auf dem leeren
Parkplatz, der das Universitätsgebäude von dem Polizeiaufgebot
trennte. Für Augenblicke hatte Alba das Gefühl, auf einem
Segelschiff in einem unverändert windstillen Meer stundenlang
in schweigender Erwartung den Horizont abzuspähen. Die
fröhliche Kameradschaft des ersten Tages schlug in demselben
Maße in Gereiztheit und ständige Diskussionen um, in dem die
Zeit verstrich und der Aufenthalt ungemütlicher wurde. Miguel
unternahm einen Streifzug durchs ganze Haus und konfiszierte
die Lebensmittel in der Cafeteria.
»Wenn alles vorüber ist, zahlen wir es dem Pächter zurück. Er
ist ein Arbeiter wie alle anderen«, sagte er.
Es war kalt. Der einzige, der über nichts klagte, nicht einmal
über den Durst, war Sebastián Gómez. Er erschien ebenso
unermüdlich wie Miguel, obwohl er doppelt so alt war und
lungenkrank wirkte. Er war der einzige Professor, der bei den
Studenten blieb, als sie das Gebäude besetzten. Es hieß, seine
gelähmten Beine seien die Folge einer Maschinengewehrgarbe
in Bolivien. Er war der Ideologe, er entzündete in seinen
Schülern die Flamme, die in den meisten wieder erlosch, sobald
sie die Universität verließen und sich in die Welt einfügten, die
sie in ihrer Jugend geglaubt hatten verändern zu können. Es war
ein kleiner, dürrer Mann mit Adlernase und schütterem Haar,
aber getrieben von einem inneren Feuer, das ihm keine Ruhe
ließ. Ihm verdankte Alba den Spitznamen »Gräfin«, weil ihr
Großvater am ersten Tag den dummen Einfall gehabt hatte, sie
im Auto mit Chauffeur zur Universität bringen zu lassen, und er
hatte sie gesehen. Der Spitzname war ein Zufallstreffer, denn
Gómez konnte nicht wissen, daß sie, gesetzt den
unwahrscheinlichen Fall, daß sie es eines Tages wünschte, den
Adelstitel von Jean de Satigny ausgraben konnte, der zu dem
wenigen Authentischen gehörte, das der französische Graf, ihr
Namensgeber, hatte. Alba trug ihm den spöttischen Spitznamen
nicht nach, im Gegenteil, manchmal hatte

Weitere Kostenlose Bücher