Das Geisterhaus
Augen machte sie unruhig, doch
konnte sie es nicht präzisieren. Garcia wischte mit der Hand
Blätter weg und setzte sich neben sie in die Laube, so nahe, daß
ihre Beine sich berührten. »Dieser Garten ist wie ein Urwald«,
sagte er, sie anhauchend mit seinem Atem.
Er nahm die Uniformmütze ab, und sie sah, daß sein Haar
kurz und steif und mit Pomade frisiert war. Plötzlich legte sich
die Hand Garcías auf ihre Schulter. Die Vertraulichkeit der
Geste brachte das Mädchen aus der Fassung. Eine Weile war sie
wie gelähmt, dann warf sie sich nach hinten, um sich frei zu
machen. Die Hand des Polizisten preßte ihre Schulter, die Finger
gruben sich durch den dicken Stoff des Mantels ein. Alba fühlte
ihr Herz schlagen wie eine Maschine, und die Röte stieg ihr in
die Wangen. »Du bist gewachsen, Alba, siehst fast schon wie
eine Frau aus«, flüsterte ihr der Mann ins Ohr.
»Ich bin vierzehn, heute habe ich Geburtstag«, stammelte sie.
»Dann habe ich ein Geschenk für dich«, sagte Esteban García,
mit schiefem Mund lächelnd.
Alba versuchte das Gesicht wegzubiegen, aber er hielt es mit
beiden Händen fest, sie mußte ihn ansehen. Es war ihr erster
Kuß. Sie fühlte etwas Warmes, Brutales, rauhe, schlecht rasierte
Haut kratzte sie im Gesicht, sie spürte seinen Geruch nach
billigem Tabak und Zwiebeln, seine Gewalttätigkeit. Die Zunge
Garcías suchte ihre Lippen zu öffnen, während er mit einer
Hand ihre Wangen zusammenquetschte, bis er sie gezwungen
hatte, die Kiefer zu öffnen. Die Zunge übersetzte sich ihr in das
Bild einer schleimigen, lauen Moluske, Ekel überkam sie, ein
Brechreiz hob ihr den Magen, aber die Augen behielt sie offen.
Sie sah den harten Uniformstoff und spürte die grausamen
Hände, die zu pressen begannen, während er sie weiter küßte.
Alba glaubte, sie würde ersticken, und stieß ihn so heftig, daß
sie von ihm frei kam. Garcia stand auf und lachte spöttisch. Er
hatte rote Flecke auf den Wangen und atmete heftig.
»Hat dir mein Geschenk gefallen?« fragte er.
Alba sah, wie er sich mit großen Schritten durch den Garten
entfernte, und fing zu weinen an. Sie fühlte sich beschmutzt und
gedemütigt. Dann lief sie ins Haus, um sich den Mund mit Seife
zu waschen und sich die Zähne zu bürsten, als ob sie damit den
Flecken aus ihrem Gedächtnis tilgen könnte. Als ihr Onkel
Jaime sie abholen kam, hängte sie sich an seinen Hals, grub das
Gesicht in sein Hemd und sagte, sie wolle kein Geschenk, sie
habe beschlossen, Nonne zu werden. Jaime brach in Lachen aus,
ein klangvolles, tiefes, von innen kommendes Lachen, das sie
nur bei seltenen Anlässen von ihm gehört hatte, weil ihr Onkel
ein stiller Mann war.
»Wirklich, ich schwor’s dir! Ich werde Nonne!« schluchzte
Alba. »Dazu müßtest du erst noch einmal geboren werden«,
erwiderte Jaime. »Und über meine Leiche gehen.«
Alba sah Esteban García nicht wieder, bis er auf dem
Parkplatz vor ihr stand, aber sie hatte ihn nie vergessen können.
Sie erzählte keinem Menschen von dem widerlichen Kuß, auch
nicht von ihren Träumen danach, in denen er ihr als ein grünes
Tier erschien, bereit, sie mit seinen Beinen zu erdrosseln und sie
zu ersticken, indem er ihr eine schleimige Tentakel in den Mund
schob.
An all das zurückdenkend, entdeckte Alba, daß der Alptraum
die ganzen Jahre über in ihr gelauert hatte, daß Garcia noch
immer das Tier war, das ihr im Dunkeln nachsetzte, um an
irgendeiner Biegung ihres Lebens über sie herzufallen. Sie
konnte nicht wissen, daß es eine Vorahnung war.
Miguels Enttäuschung und Wut darüber, daß Alba die Enkelin
von Senator Trueba war, verflog, als er sie zum zweitenmal wie
eine verirrte Seele in den Gängen um die Cafeteria
herumstreichen sah, in der sie sich kennengelernt hatten. Er fand
es ungerecht, der Enkelin die Schuld an den Ideen des Alten zu
geben, und sie gingen wieder umschlungen. Es dauerte nicht
lange, bis sich die endlosen Küsse als ungenügend erwiesen und
sie begannen, sich in Miguels Zimmer zu treffen. Er bewohnte
eine schäbige Pension für arme Studenten, die von einem
Ehepaar reiferen Alters und mit einer Berufung zum Spionieren
geführt wurde. Mit unverhohlener Feindseligkeit starrten sie
Alba an, wenn sie an der Hand Miguels in dessen Zimmer
hochging, und es kostete sie Qualen, ihre Schüchternheit zu
überwinden und der Kritik dieser Blicke standzuhalten, die sie
um das ganze Glück der Begegnung brachten. Sie hätte eine
andere
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