Das Geisterhaus
hinter sich herschleifend, ohne auch nur einen
Blick zum Abschied zurück, begleitet von Ana Díaz, die ebenso
überrascht und wütend war wie er.
»Was ist los mit dir?« fragte García, mit der Pistole auf Albas
Hose deutend. »Das sieht nach Fehlgeburt aus.«
Alba hob den Kopf und sah ihm in die Augen.
»Das geht Sie nichts an. Bringen Sie mich nach Hause«,
befahl sie, den autoritären Ton nachahme nd, den ihr Großvater
all denen gegenüber anschlug, die er als nicht zu seiner
Gesellschaftsklasse gehörig betrachtete.
Garcia zögerte. Seit langem hatte er keinen Befehl aus
Zivilistenmund mehr gehört, und er war versucht, sie auf die
Wache zu bringen und in einer Zelle in ihrem Blut verfaulen zu
lassen, bis sie ihn auf Knien anflehte, aber er hatte in seinem
Beruf gelernt, daß es andere gab, Mächtigere als er, und daß er
sich den Luxus nicht leisten konnte, auf eigene Faust zu
handeln. Zudem waren die Erinnerung an Alba in gestärkten
Kleidern, Limonade trinkend auf der Terrasse der Drei Marien,
während er barfuß und seinen Rotz schluckend über den
Hühnerhof schlich, und die Angst, die er noch immer vor dem
alten Trueba hatte, stärker als sein Wunsch, sie zu demütigen. Er
konnte dem Blick des jungen Mädchens nicht standhalten und
senkte unmerklich den Kopf. Dann machte er kehrt, bellte einen
kurzen Satz, und zwei Polizisten führten Alba an den Armen zu
einem Polizeiauto. So kam sie zu Hause an. Als Bianca sie sah,
dachte sie, die Vorhersage des Großvaters habe sich
bewahrheitet und die Polizei sei mit Knüppeln gegen die
Studenten vorgegangen. Sie fing laut zu schreien an und hörte
damit nicht auf, bis Jaime Alba untersucht und ihr versichert
hatte, sie sei nicht verwundet und hätte nichts, was nicht mit ein
paar Spritzen und Ruhe zu kurieren sei. Alba verbrachte zwei
Tage im Bett, während sich der Studentenstreik friedlich
auflöste. Der Erziehungsminister wurde seines Postens enthoben
und in das Landwirtschaftsministerium versetzt.
»Wenn er ohne Schulabschluß Erziehungsminister werden
konnte, kann er auch Landwirtschaftsminister werden, ohne in
seinem Leben je eine Kuh gesehen zu haben«, kommentierte
Senator Trueba.
Während Alba im Bett lag, hatte sie die Zeit, sich die
Umstände ins Gedächtnis zu rufen, unter denen sie Esteban
García kennengelernt hatte. Wenn sie zuunterst in ihren
Kindheitserinnerungen grub, sah sie einen braunhäutigen jungen
Mann, die Bibliothek des großen Eckhauses, das Kaminfeuer
mit den großen, duftenden Weißdornknüppeln, am Abend oder
schon in der Nacht, und sich selbst auf seinen Knien sitzend.
Aber diese Vision kam und ging so schnell, daß sie zweifelte, ob
es nicht ein Traum sei. Ihre erste deutliche Erinnerung an ihn
war späteren Datums. Sie wußte es genau, denn es war ihr
vierzehnter Geburtstag gewesen und ihre Mutter hatte es in das
schwarze Album eingetragen, das ihre Großmutter am Tag ihrer
Geburt begonnen hatte. Sie hatte sich zur Feier des Tages das
Haar gekraust, saß im Mantel auf der Terrasse und wartete auf
ihren Onkel Jaime, der sie abholen wollte, um ihr ein Geschenk
zu kaufen. Es war kalt, aber sie mochte den Garten im Winter.
Sie blies auf ihre Hände und schlug den Mantelkragen hoch, um
die Ohren zu schützen. Von ihrem Platz aus konnte sie durchs
Fenster in die Bibliothek sehen, wo ihr Großvater mit einem
Mann sprach. Die Fensterscheiben waren beschlagen, aber sie
konnte die Polizistenuniform erkennen, und sie fragte sich, was
ihr Großvater mit einem von denen in der Bibliothek zu tun
haben mochte. Der Mann, der dem Fenster den Rücken kehrte,
saß steif auf dem Rand eines Stuhls, bolzengerade, in der
pathetischen Haltung eines Bleisoldaten. Alba betrachtete ihn
eine Weile, bis ihrer Schätzung nach ihr Onkel kommen mußte.
Dann ging sie durch den Garten zu einer halb verfallenen Laube,
schlug in die Hände, damit ihr warm wurde, streifte die feuchten
Blätter von der Steinbank und setzte sich hin, um zu warten.
Hier stieß kurz darauf Esteban García auf sie, als er das Haus
verließ und den Garten durchqueren mußte, um ans Gittertor zu
gelangen. Als er sie sah, blieb er ruckartig stehen. Er blickte
nach allen Seiten, zögerte und kam näher.
»Erinnerst du dich an mich?« fragte Garcia.
»Nein…« sagte sie zweifelnd.
»Ich bin Esteban García. Wir haben uns auf den Drei Marien
kennengelernt.«
Alba lächelte mechanisch. Er weckte in ihr eine böse
Erinnerung. Etwas in seinen
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