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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Kapitel
Das Erwachen
    Ungefähr mit achtzehn ließ Alba die Kindheit endgültig hinter
sich zurück. Als sie sich zum erstenmal als Frau fühlte, schloß
sie sich in ihr früheres Schlafzimmer ein, wo immer noch die
vor vielen Jahren begonnenen Wandmalereien waren. Sie
durchsuchte die alten Farbtöpfe, bis sie ein wenig rote und ein
wenig weiße Farbe fand, die noch frisch war, mischte sie
vorsichtig und malte ein großes hellrotes Herz auf die letzte
unbemalte Stelle der Wand. Sie war verliebt. Danach warf sie
Farbtöpfe und Pinsel zum Abfall, setzte sich und betrachtete
lange die Zeichnungen, um an ihnen die Geschichte ihrer Leiden
und Freuden durchzugehen. Sie kam zu dem Schluß, daß sie
glücklich gewesen war, und verabschiedete sich mit einem
Seufzer von ihrer Kindheit.
    In diesem Jahr änderte sich vieles in ihrem Leben. Sie
beendete die Schule und beschloß, zu ihrem Vergnügen
Philosophie zu studieren und Musik als Protest gegen ihren
Großvater, der Kunst als eine Art Zeitvergeudung betrachtete
und unermüdlich die Vorteile der freien oder wissenschaftlichen
Berufe predigte. Auch vor der Liebe und der Ehe warnte er sie,
mit den gleichen dummen Sprüchen, mit denen er Jaime
drängte, sich ein anständiges Mädchen zu suchen und sie zu
heiraten, weil er sonst als Junggeselle enden würde. Für Männer,
sagte er, sei es besser, eine Frau zu haben, hingegen zögen
Frauen wie Alba in der Ehe immer den kürzeren. Die Predigten
des Großvaters waren verflogen, als Alba eines denkwürdigen,
regnerischen und kalten Nachmittags in einem
Café der
Universität zum erstenmal Miguel sah.
    Miguel war Student, ein blasser junger Mann mit fiebrigen
Augen, verwaschenen Hosen und Bergmannsstiefeln. Er stand
im letzten Jahr Jura und hatte eine leitende Funktion in der
Linken. Er war besessen von der unkontrollierbarsten aller
Leidenschaften, der, nach Gerechtigkeit zu suchen. Das hinderte
ihn jedoch nicht zu bemerken, daß Alba ihn beobachtete. Er hob
den Blick, und ihre Augen begegneten sich. Hingerissen sahen
sie sich an, und von da an suchten sie jede Gelegenheit, sich auf
den Wegen des Universitätsgeländes zu treffen und beladen mit
Büchern und Albas schwerem Violoncello spazierenzugehen.
Schon bei der ersten Begegnung hatte sie bemerkt, daß er ein
kleines Abzeichen am Ärmel trug: eine hochgereckte Faust. Sie
beschloß, ihm nicht zu sagen, daß sie eine Enkelin Esteban
Truchas war, und benützte zum erstenmal in ihrem Leben den
Namen, der auf ihrer Kennkarte stand: Satigny. Bald wurde ihr
klar, daß sie ihn besser auch vor ihren übrigen Kameraden
verschwieg. Andererseits konnte sie sich brüsten, mit Pedro
Tercero befreundet zu sein, der bei den Studenten sehr populär
war, und mit dem Dichter, auf dessen Knien sie als Kind
gesessen hatte und der damals schon in allen Sprachen bekannt
war. Seine Verse waren im Mund der jungen Leute und standen
unter den Graffiti auf den Hauswänden.
    Miguel sprach von der Revolution. Man müsse der Gewalt
des Systems die Gewalt der Revolution entgegensetzen, sagte er.
Alba war an Politik gänzlich uninteressiert und wollte nur von
Liebe sprechen. Sie hatte es satt, sich die politischen Meinungen
ihres Großvaters anzuhören, seine Streitereien mit Onkel Jaime
zu ertragen und sämtliche Wahlkampagnen mitzuerleben. Nur
ein einziges Mal hatte sie sich an einer politischen Aktion
beteiligt, eines Tages, als sie mit anderen Schülerinnen
losgezogen war und ohne einen ersichtlichen Grund Steine auf
die amerikanische Botschaft geschmissen hatte. Danach war sie
für eine Woche von der Schule ausgeschlossen worden, und ihr
Großvater hatte beinahe einen weiteren Herzinfarkt bekommen.
An der Universität war aber Politik unvermeidbar. Wie alle
jungen Leute, die in diesem Jahr die Universität bezogen,
entdeckte Alba den Reiz der nächtelangen Diskussionen in
einem Café, wo man über die notwendigen Veränderungen in
der Welt debattierte und sich gegenseitig an der Leidenschaft für
Ideen ansteckte. Spät in der Nacht kam sie nach Hause, mit
bitterem Mund, in Kleidern, miefend vom Rauch billiger
Zigaretten und den Kopf heiß von Heroismus, überzeugt, daß sie
ihr Leben für die gerechte Sache lassen würde, wenn die Stunde
gekommen war. Aus Liebe zu Miguel, und nicht aus
ideologischer Überzeugung verbarrikadierte sich Alba in der
Universität, zusammen mit anderen Studenten, die das Gebäude
besetzt hatten, um einen Streik der Arbeiter zu

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