Das Geisterhaus
sie mit dem Gedanken
gespielt, den mutigen Professor zu verführen. Aber Sebastián
Gómez hatte viele Mädchen wie Alba gesehen und erkannte
rasch diese Mischung aus Mitleid und Neugier, die seine
Krücken bei anderen hervorriefen.
So verging der Tag, ohne daß die Mobile Einheit ihre
Panzerwagen von der Stelle bewegt hätte und ohne daß die
Regierung den Forderungen der Arbeiter nachgab. Alba begann
sich zu fragen, was zum Teufel sie hier machte, denn ihre
Bauchschmerzen wurden unerträglich, und das Bedürfnis, sich
in einem Bad mit fließendem Wasser zu waschen, wurde
nachgerade zur Obsession. Sooft sie auf die Straße blickte und
die Polizisten sah, hatte sie den Mund voll Speichel. Sie hatte
damals schon herausgefunden, daß das Training, das ihr Onkel
Nicolas ihr gegeben hatte, im Augenblick der Aktion lange nicht
so wirkungsvoll gewesen war wie bei eingebildeten Leiden.
Zwei Stunden später fühlte Alba etwas Glitschiges zwischen den
Beinen und sah rote Flecken in ihrer Hose. Panik ergriff sie. Die
Angst, daß dies passieren könnte, hatte sie den ganzen Tag über
ebenso gequält wie der Hunger. Der Fleck in ihrer Hose war wie
eine Fahne. Sie versuchte ihn nicht zu verbergen. Sie kauerte
sich in einen Winkel und fühlte sich verloren. Als sie klein war,
hatte ihre Großmutter ihr beigebracht, daß alle organischen
Funktionen des Menschen etwas Natürliches seien und man über
die Menstruation genauso sprechen könne wie über Poesie, aber
später, in der Schule, hatte sie gelernt, daß außer Tränen alle
Körperausscheidungen unanständig seien. Miguel bemerkte ihre
Bedrängnis und Angst, er ging in die improvisierte
Krankenstation, um ein Paket Watte zu ho len, trieb aber nur ein
paar Papiertaschentücher auf, und bald zeigte sich, daß sie nicht
ausreichten. Als es dunkel wurde, weinte Alba vor Scham und
vor Schmerz, verängstigt durch das Schneiden in ihrem Bauch
und dieses gurgelnde Bluten, das ganz anders als sonst war. Sie
hatte die Vorstellung, daß etwas in ihr platzte. Ana Díaz, eine
Studentin, die wie Miguel das Abzeichen mit der erhobenen
Faust trug, äußerte, nur reiche Frauen hätten dabei Schmerzen,
Proletarierinnen würden nicht einmal jammern, wenn sie
gebären, aber als sie sah, daß sich unter Albas Hose eine Pfütze
bildete und sie selbst sterbensbleich war, ging sie zu Sebastián
Gómez. Dieser erklärte sich für unfähig, das Problem zu lösen.
»Das kommt davon, wenn sich Frauen in
Männerangelegenheiten mischen«, scherzte er.
»Nein! Das passiert, wenn sich bourgeoise Weiber in die
Angelegenheiten des Volkes mischen«, erwiderte das junge
Mädchen empört.
Sebastián Gómez ging in die Ecke, in der Miguel Alba
hingelegt hatte, und ließ sich umständlich, von den Krücken
behindert, neben ihr nieder.
»Gräfin, du mußt nach Hause. Hier kannst du nichts mehr tun,
im Gegenteil, du störst nur«, sagte er.
Alba fühlte sich tief erleichtert. Sie war verängstigt, und hier
bot sich ihr ein ehrenhafter Abgang, eine Möglichkeit, nach
Hause zu gehen, ohne daß es nach Feigheit aussah. Sie
widersprach Sebastián Gómez ein wenig, um das Gesicht zu
wahren, erklärte sich aber fast sofort einverstanden, daß Miguel
mit einer weißen Fahne hinausging, um mit den Polizisten zu
verhandeln. Alle beobachteten ihn durch die Sehschlitze in den
verbarrikadierten Fenstern, als er den leeren Parkplatz
überquerte. Die Polizisten hatten die Reihen dichter geschlossen
und befahlen ihm durch Lautsprecher, stehenzubleiben, die
Fahne auf den Boden zu legen und, die Hände im Nacken,
weiterzugehen.
»Das sieht nach Krieg aus«, kommentierte Gómez.
Kurz danach kam Miguel zurück und half Alba aufzustehen.
Dasselbe Mädchen, das zuvor Albas Stöhnen kritisiert hatte,
nahm sie am Arm, und zu dritt verließen sie das Gebäude, im
scharfen Licht der Scheinwerfer der Polizei Sandsäcke und
Barrikaden umgehend. Eine Patrouille kam ihnen auf halbem
Weg entgegen, und plötzlich stand Alba wenige Zentimeter vor
einer grünen Uniform und sah eine Pistole auf ihre Nase zielen.
Sie blickte auf und hatte vor sich ein braunes Gesicht mit
Nagetieraugen. Sie wußte sofort, wer es war: Esteban García.
»Sieh an, die Enkelin von Senator Trueba!« rief Garcia
ironisch. So erfuhr Miguel, daß sie ihm nicht die volle Wahrheit
gesagt hatte. In dem Gefühl, getäuscht worden zu sein, übergab
er sie in die Hände der Polizisten, machte kehrt und ging, die
weiße Fahne
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