Das Geisterhaus
Lösung vorgezogen, um diesen Blicken aus dem Weg zu
gehen, aber den Gedanken, mit Miguel in ein Hotel zu gehen,
verwarf sie ebenfalls, aus dem gleichen Grund, aus dem sie auch
in seiner Pension nicht gesehen werden wollte. »Du bist die
schlimmste Bourgeoise, die ich kenne«, lachte Miguel.
Manchmal bekam er ein Motorrad geliehen, und sie flüchteten
für ein paar Stunden aus der Stadt, rittlings auf der Maschine bei
selbstmörderischer Geschwindigkeit, die Ohren eisig und das
Herz heiß von Liebe. Sie liebten es, im Winter an einsamen
Stränden über den nassen Sand zu gehen, ihre Fußspuren
hinterlassend, die das Meer bedeckte, die Möwen
aufzuscheuchen und in tiefen Zügen die Meeresluft zu atmen.
Im Sommer suchten sie die dichtesten Wälder auf, in denen sie
ungestraft toben konnten, sobald sie forschungsfreudige Kinder
und Ausflügler hinter sich gelassen hatten. Bald fand Alba
heraus, daß der sicherste Ort ihr eigenes Haus war. Im Labyrinth
der verlassenen Zimmer, die niemals jemand betrat, konnten sie
sich ungestört lieben. »Wenn die Dienstboten Geräusche hören,
werden sie glauben, daß die Gespenster zurückgekommen sind«,
sagte Alba und erzählte ihm von der glorreichen Vergangenheit
des großen Eckhauses mit Besuche abstattenden Geistern und
fliegenden Tischen.
Als sie ihn das erstemal durch die Hintertür in den Garten
führte, sich einen Weg durchs Gestrüpp bahnend und die von
Moos und Vogelkot bedeckten Götterstatuen umgehend, zuckte
der junge Mann beim Anblick des traurigen Riesenhauses
zusammen. »Hier bin ich schon gewesen«, murmelte er, konnte
sich aber nicht mehr erinnern, denn dieser alptraumhafte Garten
und dieses düstere Herrenhaus hatten kaum noch eine
Ähnlichkeit mit dem strahlenden Bild, das er seit seiner
Kindheit wie einen Schatz in seinem Gedächtnis bewahrte.
Eins ums andere probierten die Liebenden die verlassenen
Zimmer durch, bis sie sich zuletzt in den Tiefen des Kellers ein
Liebesnest improvisierten.
Alba hatte den Keller seit Jahren
nicht mehr betreten und manchmal fast vergessen, daß es ihn
gab, aber sobald sie die Tür öffnete und den unverwechselbaren
Geruch einatmete, spürte sie die gleiche magische
Anziehungskraft wie früher. Sie benutzten den alten Plunder, die
Truhen und Kisten, die Ausgabe des Buches von Onkel Nicolas,
Möbel und Vorhänge aus anderen Zeiten, um sich eine
erstaunliche Hochzeitskammer einzurichten. In der Mitte bauten
sie sich aus übereinandergelegten Matratzen ein Bett, über das
sie Bahnen mottenzerfressenen Samts breiteten. Aus den
Koffern holten sie unzählige Schätze hervor. Sie benutzten alte
topasfarbene Damastvorhänge als Bettücher, sie zertrennten das
luxuriöse Kleid aus Chantillyspitze, das Clara an dem Tag
getragen hatte, als
Barrabas starb, und machten daraus ein
Moskitonetz, um vor den Spinnen in Sicherheit zu sein, die sich
an ihren Fäden von der Decke herabließen. Sie machten sich
Licht mit Kerzen, und über die kleinen Nagetiere, die Kälte und
den modrigen Grabesgeruch sahen sie hinweg. Der Feuchtigkeit
und der Zugluft trotzend, gingen sie nackt im ewigen Dämmer
des Kellers. Sie tranken Weißwein aus Kristallgläsern, die Alba
aus dem Eßzimmer verschwinden ließ, und veranstalteten ein
gründliches Inventar ihrer Körper und der vielfältigen
Möglichkeiten der Lust. Sie spielten wie Kinder. Es fiel Alba
schwer, in diesem sanften, verliebten, in einem unaufhörlichen
Bacchanal lachenden und tobenden Jungen den Revolutionär
wiederzuerkennen, der nach Gerechtigkeit dürstete und sich
heimlich im Gebrauch von Feuerwaffen und in revolutionären
Strategien unterweisen ließ.
Alba erfand unwiderstehliche
Verführungstricks und Miguel neue, herrliche Arten, sie zu
lieben. Sie waren geblendet von der Kraft ihrer Leidenschaft,
dem wie durch Behexung unstillbaren Durst. Weder die Stunden
noch die Worte reichten ihnen aus, um sich ihre intimsten
Gedanken und ältesten Erinnerungen zu sagen in dem
ehrgeizigen Versuch, sich gegenseitig bis in die letzte Essenz in
Besitz zu nehmen. Alba vernachlässigte das Violoncello, außer
um nackt auf dem topasfarbenen Bett zu spielen, und saß mit der
Miene einer Halluzinierenden in den Vorlesungen. Auch Miguel
schob seine Doktorarbeit und seine politischen Versammlungen
auf, da sie zu jeder Stunde Zusammensein mußten und die
geringste Unaufmerksamkeit der Hausbewohner nutzten, um
sich in den Keller zu schleichen. Alba lernte lügen und
Weitere Kostenlose Bücher