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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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der winzigen
Bahnstation an den schmalspurigen Gleisen, die die zivilisierte
Welt mit dieser Wüste verbanden, in der ich zwei Jahre
verbracht hatte.
    Dreißig Stunden war ich unterwegs, ohne etwas zu essen,
sogar den Durst vergaß ich, aber ich erreichte das Haus del
Valle noch vor der Beerdigung. Völlig verstaubt, ohne Hut,
schmutzig und unrasiert, durstig und zornig sei ich ins Haus
gekommen, sagten sie, und hätte nach meiner Braut gerufen. Die
kleine Clara, damals ein mageres, häßliches kleines Mädchen,
kam mir über den Patio entgegen, nahm mich an der Hand und
führte mich schweigend ins Eßzimmer. Da lag Rosa in der
weißen gefältelten Seide in ihrem weißen Sarg, drei Tage nach
ihrem Tod nicht nur nicht entstellt, sondern tausendmal schöner,
als ich sie in Erinnerung hatte, denn Rosa hatte sich im Tod
unmerklich in die Sirene verwandelt, die sie heimlich immer
gewesen war.
    »Verflucht soll sie sein! Sie ist mir entwischt!« soll ich,
während ich niederkniete, geschrien, ja gebrüllt haben, die
Anwesenden schockierend, weil keiner von ihnen meine
Enttäuschung begreifen konnte: Zwei Jahre lang hatte ich die
Erde aufgerissen, um reic h zu werden, nur mit dem einen Ziel,
irgendwann dieses junge Mädchen zum Altar zu führen, und der
Tod hatte sie mir weggeschnappt.
    Gleich danach kam der Totenwagen, ein riesiges,
schwarzglänzendes Gefährt, von sechs Rassepferden mit
Federbüschen gezogen und von livrierten Kutschern gefahren,
wie es damals üblich war. Am frühen Nachmittag, unter feinem
Nieselregen, fuhr er aus dem Haus, dahinter eine Prozession,
von Kutschen mit den Verwandten, den Freunden und den
Kränzen. Nach alter Sitte nahmen die Frauen und die Kinder
nicht an der Beerdigung teil, das war Sache der Männer, aber
Clara brachte es fertig, sich im letzten Augenblick in den Zug
einzuschmuggeln, um ihre Schwester Rosa zu begleiten. Ich
fühlte ihre kleine Hand in der meinen, und während der ganzen
Strecke saß sie neben mir, ein kleiner, stiller Schatten, der eine
mir unbekannte Zärtlichkeit in meiner Seele erregte. Auch mir
fiel damals nicht auf, daß Clara, wie schon seit zwei Tagen, kein
Wort sprach, und drei Monate sollten vergehen, bis die Familie
sich über ihr Stillschweigen Sorgen machte.
    Severo del Valle und seine ältesten Söhne trugen Rosas
weißen, silberbeschlagenen Sarg, sie selbst schoben ihn in die
offene Grabnische. Sie ging gemessen, schweigend, ohne zu
weinen, wie es in diesem an die Würde des Schmerzes
gewohnten Land den Trauernormen entsprach. Nachdem die
Gittertüren geschlossen und die Angehörigen, die Freunde und
die Totengräber gegangen waren, blieb ich zwischen den
Blumen, die der Freßlust von Barrabas entgangen und Rosa auf
den Friedhof gefolgt waren, am Grab stehen. Mit meinen im
Wind flatternden Rockschößen muß ich wie ein düsterer
Wintervogel ausgesehen haben, groß und mager, wie ich damals
war, ehe sich Férulas Fluch erfüllte und ich zu schrumpfen
begann. Der Himmel war grau und kündigte Regen an, ich
vermute, daß es kalt war, aber ich glaube, daß ich es nicht
spürte, weil mich die Wut innerlich auffraß. Ich konnte die
Augen nicht von dem kleinen Marmorrechteck wenden, auf dem
in gotischen Buchstaben Rosas Name und die Daten ihres
kurzen Aufenthalts auf Erden eingraviert waren. Zwei Jahre,
dachte ich, hatte ich verloren, träumend von Rosa, arbeitend für
Rosa, schreibend an Rosa und Rosa begehrend, und zuletzt hatte
ich nicht einmal den Trost, an ihrer Seite beerdigt zu werden.
Ich dachte an die Jahre, die ich noch zu leben hatte, und kam zu
dem Schluß, daß sie ohne Rosa nicht wert waren, gelebt zu
werden, weil ich auf der ganzen Welt nie mehr eine Frau mit
ihrem grünen Haar und ihrer aus Meerestiefen geborenen
Schönheit finden würde. Wenn mir damals jemand gesagt hätte,
daß ich neunzig Jahre alt werden würde, hätte ich mir eine
Kugel in den Kopf geschossen. Da ich die Schritte des
Friedhofswärters nicht hörte, der von hinten zu mir trat, erschrak
ich, als er mich an der Schulter berührte.
    »Was fällt Ihnen ein, mich zu berühren«, schrie ich ihn an.
Der arme Mann fuhr erschrocken zurück. Ein paar Regentropfen
waren gefallen und liefen traurig über die Blumen der Toten.
    »Entschuldigen Sie, Caballero, es ist sechs Uhr und ich muß
schließen«, sagte er, glaube ich.
Er versuchte mir zu erklären, daß sich laut Vorschrift niemand
außer dem Dienstpersonal nach Sonnenuntergang auf

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