Das Geisterhaus
Kaminfeuer war
erloschen. Die Nana trat ein.
»Wo ist Rosa?« fragte sie.
»Doktor Cuevas ist bei ihr, Nana. Bleib hier und trink einen
Schluck mit mir«, bat Severo.
Die Nana blieb stehen, mit gekreuzten Armen den Schal auf
der Brust festhaltend. Severo deutete aufs Sofa, und schüchtern
trat sie näher. Sie setzte sich neben ihn. Es war das erstemal, seit
sie in diesem Haus lebte, daß sie ihrem Herrn so nahe war.
Severo goß jedem ein Glas Jerez ein und trank seines auf einen
Schluck aus. Er vergrub den Kopf in seinen Fingern, raufte sich
das Haar und murmelte zwischen den Zähnen eine
unverständliche, traurige Litanei. Die Nana, die steif auf dem
Sofarand gesessen hatte, entspannte sich, als sie ihn weinen sah.
Automatisch streckte sie die Hand aus und strich mit der
gleichen liebkosenden Bewegung, mit der sie zwanzig Jahre
lang die Kinder getröstet hatte, über sein Haar. Er hob den
Blick, sah das alterslose Gesicht, die indianischen Jochbeine,
den schwarzen Haarknoten, den breiten Schoß, in dem er alle
seine Nachkommen hatte schluchzen und schlafen sehen, und
spürte, daß diese warme und wie die Erde großmütige Frau ihm
Trost geben konnte. Er legte die Stirn auf ihren Rock, atmete
den leichten Duft ihrer gestärkten Schürze und brach wie ein
Kind in Schluchzen aus. Er vergoß alle Tränen, die er in seinem
Leben als Mann nicht geweint hatte. Die Nana strich ihm über
den Rücken, gab ihm tröstliche kleine Klapse, sprach mit jener
halben Sprache zu ihm, mit der sie die Kinder einzuschläfern
pflegte, und sang ihm ihre bäuerlichen Balladen vor, bis er sich
beruhigte. Sie blieben sitzen, eng aneinander, tranken Jerez,
weinten dazwischen und erinnerten sich der glücklichen Jahre,
als Rosa noch durch den Garten lief und mit ihrer aus
Wassertiefen geborenen Schönheit die Schmetterlinge
erschreckte.
In der Küche legten Doktor Cuevas und sein Assistent ihre
schaurigen Instrumente und übelriechenden Fläschchen zurecht,
sie banden sich Wachstuchschürzen um, rollten die Ärmel hoch
und durchwühlten die Eingeweide der schönen Rosa, bis sie
zweifelsfrei festgestellt hatten, daß sie eine starke Dosis
Rattengift zu sich genommen hatte.
»Das war für Severo bestimmt«, schloß der Doktor, als er sich
im Ausguß die Hände wusch.
Der Assistent, zutiefst aufgewühlt von der Schönheit der
Toten, brachte es nicht über sich, sie einfach wie einen
zugenähten Sack liegen zu lassen. Er schlug vor, sie ein wenig
herzurichten. Also gingen beide daran, den Leib mit Salben
einzureihen und mit Balsamierstoffen zu füllen. Sie arbeiteten
bis vier Uhr morgens, als der Doktor sich vor Müdigkeit und
Traurigkeit erschöpft erklärte und hinausging. Rosa blieb in der
Küche in den Händen des Assistenten zurück, der ihr mit dem
Schwamm die Blutspuren abwischte, ihr das gestickte Hemd
anzog, damit die von der Kehle bis zum Geschlecht verlaufende
Naht verborgen war, und ihr das Haar ordnete. Dann tilgte er die
Spuren seiner Arbeit.
Im Salon traf Doktor Cuevas Severo, neben ihm die Nana,
beide betäubt vom Weinen und vom Jerez.
»Wir sind fertig. Wir richten sie noch ein wenig her, damit
ihre Mutter sie sehen kann.«
Er erklärte Severo, sein Verdacht habe sich als begründet
erwiesen, er habe im Magen seiner Tochter die gleiche tödliche
Substanz gefunden wie in dem geschenkten Schnaps. Da
erinnerte sich Severo der Ankündigung Claras, und bei dem
Gedanken, daß seine Tochter an seiner Stelle gestorben war,
verlor er den Rest an Fassung, der ihm verblieben war. Er brach
zusammen, wimmernd, daß er durch seinen Ehrgeiz, seine
Prahlsucht die Schuld trage, daß niemand ihn geheißen habe,
sich mit Politik zu befassen, daß es ihm viel besser gegangen
sei, als er noch ein gewöhnlicher Rechtsanwalt und
Familienvater gewesen war, daß er sofort und für immer auf die
verfluchte Kandidatur und auf die Liberale Partei mit ihren
überspannten Visionen und Werken verzichten werde, daß er
hoffe, keiner seiner Nachkommen werde sich je auf die Politik
einlassen, die ein Geschäft für Halsabschneider und Räuber sei,
bis Doktor Cuevas sich seiner erbarmte und ihn vollends
betrunken machte. Der Jerez vermochte mehr als Leid und
Schuldgefühle. Die Nana und der Doktor trugen ihn ins
Schlafzimmer, zogen ihn aus und legten ihn in sein Bett. Dann
gingen sie in die Küche, wo der Assistent inzwischen Rosas
Toilette beendet hatte.
Nivea und Severo del Valle erwachten spät am
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