Das Geisterhaus
Morgen. Die
Familienangehörigen hatten das Haus für die Aufbahrung
hergerichtet, die Vorhänge zugezogen und mit schwarzem
Krepp behängt und an den Wänden die Blumenkränze
aufgereiht, die mit ihrem süßen Duft die Luft erfüllten. Sie
hatten das Eßzimmer zur Totenkapelle gemacht. Auf dem
großen Tisch, über den ein schwarzes, goldgefranstes Tuch
gebreitet war, stand Rosas weißer, silberbeschlagener Sarg,
zwölf gelbe Kerzen in Messingleuchtern warfen einen milden
Schein auf das junge Mädchen. Man hatte ihr das Brautkleid
angezogen und ihr den Kranz mit den wächsernen
Orangenblüten aufgesetzt, der für den Tag ihrer Hochzeit
bereitlag.
Gegen Mittag trafen die Verwandten, Freunde und Bekannten
ein, um am Sarg vorbeizugehen, der Familie ihr Beileid
auszusprechen und mit ihr zu trauern. Selbst die erbittertsten
Gegner Severos kamen, und er beobachtete sie scharf; in jedem
Augenpaar, das er sah, versuchte er das Geheimnis des Mordes
zu entdecken, aber in allen, selbst in dem des Präsidenten der
Konservativen Partei, sah er das gleiche Bedauern, die gleiche
Unschuld.
Während der Totenwache wandelten die Herren in den Salons
und Gängen des Hauses und besprachen leise ihre
Angelegenheiten und Geschäfte. Kam jemand von der Familie
in ihre Nähe, verstummten sie respektvoll. Als es Zeit war, ins
Eßzimmer zurückzugehen und an den Sarg zu treten, um einen
letzten Blick auf Rosa zu werfen, erschraken alle, weil ihre
Schönheit noch zugenommen hatte. Die Damen gingen in den
Salon, wo die Stühle im Kreis aufgestellt worden waren, damit
man in aller Bequemlichkeit weinen konnte, den Tod eines
anderen Menschen als Vorwand benutzend, um eigenen
Kummer loszuwerden. Es wurde viel geweint, aber würdig und
schweigend. Einige Frauen sprachen leise Gebete. Die
Dienstmädchen boten in den Salons und auf den Gängen Tee
und Cognac an, den Damen frische Taschentücher,
eingemachtes Obst und kleine, in Ammoniak getränkte
Kompressen, falls einer von ihnen in der stickigen Luft vom
Kerzengeruch und aus Kummer schwindlig wurde. Alle Töchter
del Valle, von Kopf bis Fuß in strenges Schwarz gekleidet,
außer Clara, die noch zu jung war, hockten wie eine Schar
Raben um ihre Mutter. Nivea, die alle ihre Tränen geweint hatte,
saß starr auf ihrem Stuhl, ohne einen Seufzer, ohne ein Wort und
ohne den hilfreichen Ammoniak, gegen den sie allergisch war.
Jeder neuankommende Besucher sprach ihr sein Beileid aus.
Manche küßten sie auf beide Wangen, andere schlössen sie
sekundenlang fest in die Arme, doch sie schien selbst die
engsten Freunde nicht zu erkennen. Sie hatte mehrere ihrer
Kinder in jungen Jahren oder bei der Geburt sterben sehen, aber
bei keinem hatte sie so sehr das Gefühl eines Verlustes gehabt
wie diesmal.
Jedes der Geschwister verabschiedete sich von Rosa mit
einem Kuß auf die kalte Stirn, nur nicht Clara, die das
Eßzimmer nicht betreten wollte. Die anderen bestanden darauf,
weil sie ihre Übersensibilität kannten und wußten, daß sie zum
Schlafwandeln neigte, wenn ihre Vorstellungskraft überfordert
war. Sie kauerte im Garten neben Barrabas und wollte weder
essen noch an der Totenwache teilnehmen. Nur die Nana
kümmerte sich um sie und versuchte sie zu trösten, aber Clara
wies sie ab.
Trotz aller Vorkehrungen, die Severo traf, um kein Gerede
aufkommen zu lassen, wurde der Tod Rosas ein öffentlicher
Skandal. Doktor Cuevas gab jedem, der es hören wollte, eine
vollkommen plausible Erklärung für den Tod des Mädchens,
das, sagte er, an akuter
Pneumonie gestorben sei, aber
gerüchtweise erzählte man sich, sie sei aus Versehen anstelle
des Vaters vergiftet worden. Politische Morde waren damals in
Chile etwas Unbekanntes, und vor allem galt Gift als ein
verächtliches Mittel, dessen sich höchstens Weiber bedienten
und das seit Kolonialzeiten nicht mehr angewandt wurde.
Proteste über das Attentat wurden laut, und ehe Severo es
verhindern konnte, druckte eine Zeitung der Opposition einen
Artikel, in dem die Schuld indirekt der Oligarchie zugeschoben
wurde. Die Konservativen, schrieb der Journalist, seien dessen
fähig, weil sie Severo del Valle nicht verzeihen könnten, daß er
trotz seiner gesellschaftlichen Stellung zu den Liberalen
gegangen war. Die Polizei versuchte die Spur der
Schnapsflasche zurückzuverfolgen, konnte aber nur klarstellen,
daß sie nicht aus derselben Quelle kam wie das mit Rebhühnern
gefüllte Schwein und daß die Wähler im Süden mit
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