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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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geisterte sie wieder durch
die Gänge des Hauses.
Férulas Abwesenheit hatte so katastrophale Auswirkungen auf
das Haus, daß selbst die Nana, die sie immer fortgewünscht
hatte, erschüttert war. Als der Frühling kam und Clara ein wenig
ausruhen konnte, verstärkte sich ihre Neigung, die Wirklichkeit
zu umgehen und sich in ihren Träumen zu verlieren. Obwohl sie
sich nicht mehr auf das Organisationstalent ihrer Schwägerin
verlassen konnte, um des Chaos im großen Eckhaus Herr zu
werden, kümmerte sie sich nicht um den Haushalt. Sie übertrug
alles der Nana und den übrigen Dienstboten und versenkte sich
in die Welt der Geistererscheinungen und der psychischen
Experimente. Die Eintragungen in ihre Lebensnotizhefte wurden
verworren, ihre Schrift verlor die Eleganz klösterlicher
Kalligraphie, die sie immer gehabt hatte, und verkam zu weit
auseinandergezogenen Krakeln, teils so winzig, daß man sie
nicht mehr lesen konnte, und teils so groß, daß drei Worte eine
ganze Seite füllten.
In den folgenden Jahren bildete sich um Clara und die drei
Schwestern
Mora eine Gruppe von Gurdjieff-Schülern,
Rosenkreuzern, Spiritisten und übernächtigen Bohemiens, die
täglich drei Mahlzeiten im Haus einnahmen und ihre Zeit
aufteilten zwischen den vordringlichsten Befragungen des
dreibeinigen Tischs und der Lektüre der neuesten Verse des
jeweils letzten erleuchteten Poeten, der auf Claras Schoß
gelandet war. Esteban duldete diese Invasion von Spinnern, weil
er seit langem wußte, daß es zwecklos war, in das Leben seiner
Frau eingreifen zu wollen. Er beschloß, wenigstens die beiden
Knaben der Magie zu entziehen, und so wurden Jaime und
Nicolas als Interne in ein viktorianisches College gesteckt, wo
jeder Vorwand recht war, ihnen die Hosen herunterzuziehen und
den Hintern zu versohlen, vor allem Jaime, der sich über die
britische Königsfamilie lustig machte und mit zwölf Jahren
Interesse an der Lektüre eines gewissen Marx zeigte, eines
Juden, der auf der ganzen Welt Revolutionen anzettelte. Nicolas
hatte von seinem Onkel Marcos den Abenteurergeist geerbt und
von seiner Mutter die Neigung, Horoskope zu stellen und die
Zukunft zu enträtseln, was jedoch nach den strengen
Grundsätzen des College nicht als schweres Vergehen, sondern
als bloße Spinnerei angesehen wurde, so daß er sehr viel
weniger gezüchtigt wurde als sein Bruder.
Der Fall von Bianca lag anders, weil ihr Vater nicht in ihre
Erziehung eingriff. Er ging davon aus, daß es ihr Los sein
werde, zu heiraten und in der Gesellschaft zu glänzen, in der die
Fähigkeit, mit den Toten zu sprechen, als Attraktion gelten
konnte, vorausgesetzt, daß der Ton, in dem es geschah, frivol
genug war. Er vertrat die Ansicht, daß die Magie, wie die
Religion und die Küche, eine spezifisch weibliche
Angelegenheit sei, und damit, möglicherweise, hing es
zusammen, daß er die drei Schwestern Mora sympathisch finden
konnte, während er die Spiritisten männlichen Geschlechts fast
ebenso haßte wie die Pfaffen. Was Clara betraf, so ging sie
überall mit ihrer Tochter im Schlepptau herum: sie nahm sie in
die Freitagssitzungen mit und erzog sie im vertrauten Umgang
mit den Seelen Verstorbener, den Mitgliedern von
Geheimgesellschaften und den notleidenden Künstlern, deren
Maecenas sie geworden war. Und wie ihre Mutter in den Zeiten
ihrer Stummheit sie selbst, so nahm sie nun Bianca mit, wenn
sie, mit Geschenken beladen, zu den Armen fuhr.
»Das verhilft uns zu einem guten Gewissen, Bianca«, erklärte
sie ihr. »Den Armen hilft es nicht. Die brauchen keine Almosen,
sondern Gerechtigkeit.«
Über dieses Thema hatte sie die schlimmsten
Auseinandersetzungen mit Esteban, der in diesem Punkt ganz
anders dachte.
»Gerechtigkeit! Ist es gerecht, daß alle das gleiche haben? Die
Faulen das gleiche wie die Fleißigen? Die Dummen das gleiche
wie die Klugen? Nicht einmal bei den Tieren ist das so. Die
Frage ist nicht, ob einer reich oder arm, sondern ob er stark oder
schwach ist. Auch ich bin der Meinung, daß wir alle dieselben
Chancen haben sollen, aber diese Leute strengen sich ja nicht
an. Die Hand ausstrecken und um ein Almosen bitten, das ist
leicht. Ich glaube an Leistung und Lohn. Mit dieser Philosophie
bin ich zu dem gekommen, was ich habe. Ich habe nie jemanden
um etwas gebeten, ein Beweis, daß jeder so handeln kann. Mir
war es bestimmt, ein armer, unglücklicher Notariatsschreiber zu
werden. Deshalb dulde ich diese

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