Das Geisterhaus
Da
beschloß sie, auf die herkömmlichen Mittel zurückzugreifen,
und begann
Férula bei den Freundinnen zu suchen, die
Lieferanten und alle, die sonst mit ihr zu tun hatten, zu fragen,
doch keiner hatte sie wiedergesehen. Schließlich führten ihre
Nachforschungen sie zu Pater Antonio.
»Suchen Sie nicht länger nach ihr, Señora«, sagte der Priester.
»Sie will Sie nicht sehen.« Clara begriff, daß dies der Grund für
das Versagen ihrer unfehlbaren Hellsehsysteme war.
»Die Schwestern Mora haben recht«, sagte sie sich. »Wer
nicht gefunden werden will, den findet man nicht.«
Für Esteban Trueba begann eine überaus erfolgreiche Zeit.
Seine Geschäfte blühten, als hätte ein Zauberstab sie berührt. Er
war mit dem Leben zufrieden. Er war so reich geworden, wie er
sich das einmal vorgenommen hatte. Er besaß Konzessionen auf
weitere Minen, er exportierte Obst, er gründete eine Baufirma,
und die Drei Marien, deren Umfang erheblich zugenommen
hatte, waren das beste Gut in der ganzen Gegend und blieben
unberührt von der Wirtschaftskrise, die das übrige Land
schüttelte. In den nördlichen Provinzen hatte der
Zusammenbruch des Salpeterabbaus Tausende von Arbeitern ins
Elend gestürzt. Scharen hungriger Entlassener, die mit ihren
Frauen, Kindern und Alten auf der Suche nach Arbeit durchs
Land zogen, hatten schließlich die Hauptstadt erreicht und mit
ihren notdürftigen Behausungen aus Brettern und Pappkarton im
Niemandsland der Müllhalden und der Verlassenheit einen
Elendsgürtel um sie gelegt. Um Gelegenheitsarbeiten bittend
strichen sie durch die Straßen, aber es gab nicht Arbeit für alle,
und mit der Zeit hörten diese einst robusten, nun vom Hunger
entkräfteten, von der Kälte erstarrten, zerlumpten und
verzweifelten Männer auf, um Arbeit zu bitten, und baten nur
noch um Almosen. Santiago füllte sich mit Bettlern. Und dann
mit Dieben. Nie hatte man schlimmere Fröste erlebt als in
diesem Jahr. In der Hauptstadt lag Schnee, ein ungewöhnliches
Ereignis, das sich lange Zeit auf den Titelseiten der Zeitungen
hielt und als Freudennachricht gefeiert wurde, während in den
Stadtrandsiedlungen die kleinen Kinder am Morgen
blaugefroren und halb erstarrt erwachten. Auch die
Wohltätigkeit reichte für so viele Notleidende nicht aus.
Es war das Jahr des Flecktyphus. Er begann als eine
zusätzliche Plage der Armen und nahm bald die Kennzeichen
einer göttlichen Strafe an. Er brach in den Armenvierteln aus
aufgrund der Kälte, der Unterernährung, des schmutzigen
Wassers in den offenen Rinnen, und mit den Arbeitslosen
verbreitete er sich über die ganze Stadt. Die Krankenhäuser
konnten die Patienten nicht mehr fassen, hohläugig schleppten
sich die Kranken durch die Straßen, fingen ihre Flöhe und
warfen sie auf die Gesunden. Die Seuche griff um sich, hielt
Einzug in allen Häusern, infizierte die Schulen und Fabriken,
keiner konnte sich mehr sicher fühlen. Alle lebten in Angst,
jeder suchte an sich die Anzeichen der schrecklichen Krankheit.
Diejenigen, die sich angesteckt hatten, fühlten eine Grabeskälte
in ihren Knochen, begannen zu zittern und fielen bald in eine
Art Stupor. Sie verblödeten, während sie, übersät mit Flecken,
vom Fieber aufgezehrt wurden, sie schieden Blut aus, delirierten
von Feuer und Untergang und fielen um, die Knochen Watte,
die Beine Lappen und einen Gallegeschmack im Mund, der
Körper eine offene Wunde, eine rote Pustel neben einer blauen,
einer gelben, einer schwarzen, sie kotzten sich die Eingeweide
aus dem Leib und schrien zu Gott, daß er sich ihrer erbarme und
sie endlich sterben lasse, weil sie es nicht mehr aushalten
könnten, der Kopf zerspringe ihnen und die Seele entweiche
ihnen mit der Scheiße und dem Entsetzen.
Esteban schlug vor, seine ganze Familie aufs Land zu bringen,
um sie vor der Ansteckung zu bewahren, aber Clara wollte
nichts davon hören. Sie war vollauf damit beschäftigt, den
Armen beizustehen, eine Aufgabe ohne Anfang und ohne Ende.
Sie ging frühmorgens aus dem Haus und kam manchmal erst
gegen Mitternacht zurück. Sie plünderte die Schränke im Haus,
nahm ihren Kindern die Kleider, den Betten die Decken, ihrem
Mann die Jacketts weg. Sie räumte die Speisekammer leer und
richtete einen Paketdienst ein: Pedro Segundo García schickte
ihr Käse, Eier, Speck, Obst und Hühner aus den Drei Marien,
und sie verteilte es unter ihre Schützlinge. Sie wurde mager und
sah eingefallen aus. In den Nächten
Weitere Kostenlose Bücher