Das Geisterhaus
bolschewistischen Ideen in
meinem Haus nicht. Geht ihr in die Armensiedlungen und gebt
Almosen, wenn ihr wollt. Das ist gut und paßt sich für die
Erziehung einer
Señorita. Aber kommt mir nicht mit den
gleichen Dummheiten wie Pedro Tercero García, das halte ich
nicht aus.«
Es stimmte, Pedro Tercero García sprach von Gerechtigkeit
auf den Drei Marien. Er war der einzige, der dem Patron die
Stirn zu bieten wagte, trotz der Prügel, die ihm sein Vater, Pedro
Segundo García, gab, sooft er ihn dabei erwischte. Schon seit
Jahren lief der Junge ohne Erlaubnis ins Dorf, um sich Bücher
auszuleihen, Zeitungen zu lesen und mit dem Lehrer zu reden,
einem glühenden Kommunisten, der später mit einem Schuß
zwischen die Augen getötet wurde. Auch nachts entwischte er
und lief in die Bar von San Lucas, um sich dort mit ein paar
Gewerkschaftern zu treffen, die gern zwischen ein paar Schluck
Bier die Welt in Ordnung brachten, oder mit dem riesenhaften,
großartigen José Dulce Maria, einem spanischen Priester, der
den Kopf voll revolutionärer Ideen hatte und ihretwegen von der
Gesellschaft Jesu in diesen gottverlassenen Winkel verbannt
worden war, aber dennoch nicht darauf verzichtete, biblische
Gleichnisse in sozialistische Kampfansagen umzusetzen. An
dem Tag, da Esteban Trueba entdeckte, daß der Sohn seines
Verwalters subversive Schriften an seine Hintersassen verteilte,
rief er ihn in sein Büro und schlug ihn vor den Augen seines
Vaters mit der Schlangenlederpeitsche.
»Das ist eine erste Warnung, du Rotzbengel«, sagte er, ohne
die Stimme zu heben, mit funkelnden Augen. »Wenn ich dich
wieder dabei erwische, daß du unter meinen Leuten Unruhe
stiftest, bringe ich dich gleich ins Gefängnis. Ich will keine
Aufwiegler auf meinem Gut. Hier befehle ich, und ich habe das
Recht, mir die Leute auszusuchen, die mir passen. Du paßt mir
nicht, damit du es weißt. Ich dulde dich hier deines Vaters
wegen, der mir viele Jahre lang treu gedient hat, aber sieh dich
vor, es könnte mit dir ein schlimmes Ende nehmen. Geh jetzt.«
Pedro Tercero García glich seinem Vater, war dunkel wie er,
mit harten, wie in Stein gemeißelten Gesichtszügen, großen,
traurigen Augen und steifem schwarzem Haar, das wie eine
Bürste geschnitten war. Er liebte nur zwei Menschen: seinen
Vater und die Tochter des Patrons. Er liebte sie seit jenem Tag
in seiner frühen Kindheit, an dem er mit ihr unter dem
Eßzimmertisch geschlafen hatte. Und Bianca erlag dem gleichen
Schicksal. Jedesmal, wenn sie in den Ferien aufs Land fuhr,
schlug ihr Herz voller Ungeduld und Verlangen wie eine
afrikanische Trommel, sobald sie auf einem der hochbeladenen
Wagen in Wolken aufgewirbelten Staubs auf den Drei Marien
ankam. Sie war die erste, die vom Wagen sprang und auf das
Haus zulief, und jedesmal stand Pedro Tercero an der Stelle, wo
er sie zum erstenmal gesehen hatte, auf der Schwelle, halb
verborgen vom Türschatten, schüchtern und linkisch, barfuß und
in zerrissenen Hosen, seine altersweisen Augen forschend auf
den Weg gerichtet, auf dem sie ankommen mußte. Sie liefen
einander entgegen, umarmten sich, küßten sich, lachten, zärtlich
sich boxend und an den Haaren ziehend, und wälzten sich vor
Freude auf dem Boden.
»Hör auf, Bianca, laß diesen Lumpenjungen«, schrie die
Nana, die sie zu trennen versuchte.
»Laß sie, Nana, sie sind Kinder, und sie mögen sich«, sagte
Clara, die mehr wußte.
Die Kinder liefen fort, rannten in ein Versteck, um sich alles
zu erzählen, was sich in diesen Monaten der Trennung
angesammelt hatte. Pedro überreichte ihr verschämt ein paar
Holztiere, die er für sie geschnitzt hatte, Bianca übergab ihm die
für ihn gesammelten Geschenke: ein Federmesser, das sich wie
eine Blume öffnete, einen kleinen Magneten, der
wunderbarerweise rostige Nägel aus dem Boden zog. In dem
Sommer, in dem sie mit einem Teil der magischen Bücher aus
den Koffern von Onkel Marcos auf den Drei Marien ankam, war
sie zehn Jahre alt und Pedro Tercero hatte noch Schwierigkeiten
mit dem Lesen, aber Wißbegierde und Lerneifer bewirkten, was
die Lehrerin mit Schlägen nicht erreicht hatte. Lesend
verbrachten sie den Sommer im Schilf am Flußufer, unter den
Fichten, zwischen den Ähren der Kornfelder, besprachen den
Heldenmut von Sandokan und Robin Hood, diskutierten das
schlimme Ende des Schwarzen Seeräubers und die erbaulichen
wahren Geschichten aus dem »Schatz für die Jugend«,
erforschten im
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