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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Nacht in ihren Stall kommt, um ihre
Eier zu stehlen und ihre Küken zu fressen. Die Hennen hatten
die Anmaßung des Fuchses satt, sie erwarteten ihn gut
organisiert, und als er in den Hühnerstall kam, verstellten sie
ihm den Weg, kreisten ihn ein und traktierten ihn mit
Schnabelhieben, bis er mehr tot als lebendig liegenblieb.
»Am Ende sah man den Fuchs mit eingezogenem Schwanz
und verfolgt von den Hennen davonlaufen«, schloß der Alte.
Bianca lachte über die Geschichte. Das sei unmöglich, meinte
sie, denn die Hennen würden dumm und schwach, der Fuchs
schlau und stark geboren, aber Pedro Tercero lachte nicht. Den
ganzen Nachmittag war er nachdenklich und grübelte über die
Geschichte vom Fuchs und den Hennen, und vielleicht war dies
der Augenblick, in dem das Kind ein Mann zu werden begann.
Fünftes Kapitel
Die Liebenden
    Biancas Kindheit verlief ohne große Erschütterungen,
abwechselnd zwischen den heißen Sommern auf den Drei
Marien, wo sie die Kraft eines Gefühls entdeckte, das mit ihr
wuchs, und der Routine eines Großstadtlebens, das sich wenig
von dem anderer Kinder ihres Alters und ihres Milieus
unterschied, obgleich die Gegenwart Claras eine extravagante
Note in ihr Dasein brachte. Jeden Morgen kam die Nana mit
dem Frühstück, schüttelte sie wach, sah ihre Schuluniform nach,
zog ihr die Söckchen hoch, reichte ihr den Hut, die Handschuhe,
das Halstuch und ordnete ihre Bücher in die Schultasche ein,
während sie leise Gebete für die Gestorbenen vor sich hin
murmelte und laut Bianca ermahnte, sich nicht von den Nonnen
einwickeln zu lassen.
    »Das sind alles schlechte Weiber«, warnte sie. »Sie holen sich
die hübschesten und klügsten Mädchen aus guter Familie, um
sie ins Kloster zu stecken, dann scheren sie den armen
Novizinnen die Köpfe, und die müssen ihr Leben damit
verplempern, für den Verkauf Torten zu backen und
irgendwelche armen Leute zu pflegen.«
    Der Chauffeur fuhr sie in die Schule, wo sie als erstes die
Messe hören und kommunizieren mußte. Während sie, den
intensiven Geruch des Weihrauchs und der Muttergotteslilien
atmend, in ihrer Bank kniete, litt sie die dreifache Folter:
Brechreiz, Schuldgefühle und Langeweile. Die Messe war das
einzige, was ihr an der Schule nicht gefiel. Sie liebte die hohen
Steinmauern der Gänge, die unbefleckte Reinheit der
Marmorböden, die schmucklosen, nackten weißen Wände, den
eisernen Christus über dem Eingang. Sie war ein romantisches,
gefühlvolles Geschöpf, das zu Einsamkeit ne igte, wenige
Freundinnen hatte und das zu Tränen gerührt sein konnte, wenn
im Garten die Rosen zu blühen begannen, wenn sie den feinen
Putzlappen- und Seifengeruch der kniend wischenden Nonnen
roch oder wenn sie hinter den anderen Schülerinnen
zurückblieb, um die traurige Stille der leeren Aulen in sich zu
fühlen. Sie galt als schüchtern und melancholisch. Nur auf dem
Land, wenn sie gebräunt von der Sonne und den Bauch voller
Früchte mit Pedro Tercero über die Felder lief, war sie lustig
und vergnügt. Diese sei die echte Bianca, sagte ihre Mutter, die
in der Stadt sei eine Bianca im Winterschlaf.
    Wegen des fortwährenden Betriebs im großen Eckhaus nahm
außer der Nana niemand zur Kenntnis, daß Bianca fraulich
wurde. Sie hatte von den Trueba das spanische und maurische
Blut geerbt, die gebieterische Haltung, die stolze Miene, die
olivenfarbene Haut, die dunklen Augen und den mediterranen
Gang, aber alles geprägt vom Erbe der Mutter, von der sie die
Sanftheit hatte, die kein Trueba je besaß. Sie war ein ruhiges
Mädchen, das sich allein beschäftigte, lernte, mit Puppen spielte
und nicht die geringste Veranlagung weder zum Spiritismus
ihrer Mutter noch zum Jähzorn ihres Vaters besaß. In der
Familie sagte man scherzhaft, sie sei seit Generationen die
einzige Normale, und sie erschien in der Tat als ein Wunder an
Ausgewogenheit und Gelassenheit. Mit dreizehn begann sich
ihre Brust zu entwickeln, ihre Taille sichtbar zu werden, sie
nahm ab und wurde schlank und rank wie eine gut gedüngte
Pflanze. Die Nana flocht ihr das Haar zum Knoten und ging mit
ihr das erste Korsett kaufen, das erste Paar Seidenstrümpfe, das
erste damenhafte Kleid und einen Vorrat von Binden für das,
was sie die Demonstration zu nennen pflegte. Unterdessen fuhr
ihre Mutter fort, die Stühle durchs Haus tanzen zu lassen, auf
dem geschlossenen Klavier Chopin zu spielen und die
wunderschönen reim- und themalosen, von Logik freien

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