Das Geisterhaus
nachdem sie
vorüber waren. Sie hatte sich in dieser Nacht noch nicht schlafen
gelegt, also lief sie zu Clara, die ihren Lindenblütentee
getrunken hatte und friedlich schlief. Auf der Suche nach
Gesellschaft und ein wenig Wärme legte sie sich neben sie,
vorsichtig, um sie nicht aufzuwecken, und Gebete murmelnd,
damit nicht aus dem leichten ein schweres Erdbeben würde. So
fand sie Esteban Trueba. Heimlich wie ein Dieb betrat er das
Haus, stieg die Treppe zu Claras Schlafzimmer hinauf, ohne
Licht zu machen, und stand plötzlich vor den zwei
schlaftrunkenen Frauen, die ihn auf den Drei Marien wähnten.
Mit der gleichen Wut, mit der er auf einen Verführer seiner Frau
losgegangen wäre, stürzte er sich auf seine Schwester, riß sie
aus dem Bett, zerrte sie über den Gang, puffte sie die Treppe
hinunter und stieß sie in die Bibliothek, während Clara auf der
Schwelle ihres Zimmers stand und rief, ohne zu begreifen, was
geschehen war. Allein mit Férula, entlud Esteban auf sie die
ganze Wut des unbefriedigten Ehemanns, schrie ihr von
Mannweib bis Kupplerin Wörter ins Gesicht, die er nie hätte
gebrauchen dürfen. Er beschuldigte sie, seine Frau pervertiert
und mit ihren altjüngferlichen Liebkosungen verwirrt zu haben,
sie mit lesbischen Künsten somnambul, zerstreut, stumm und
zur Spiritistin gemacht zu haben, in seiner Abwesenheit habe sie
sich mit ihr verlustiert, die Ehre seines Hauses, den Namen
selbst seiner Kinder und das Andenken ihrer heiligmäßigen
Mutter habe sie besudelt, er dulde diese Abscheulichkeiten nicht
länger, er werfe sie aus dem Haus, auf der Stelle, und er verbiete
ihr, seiner Frau und seinen Kindern noch einmal
nahezukommen. Das Geld, das sie brauche, um anständig zu
leben, werde ihr nicht fehlen, wie er es ihr versprochen habe,
aber wenn er sie noch einmal um seine Familie herumschleichen
sehe, werde er sie umbringen, das solle sie sich ein für allemal
merken. »Umbringen werde ich dich, das schwöre ich dir bei
unserer Mutter.«
»Ich verfluche dich, Esteban«, schrie ihn Férula an. »Immer
wirst du allein sein, deine Seele und dein Körper werden
schrumpfen, und du wirst sterben wie ein Hund.«
Und so, im Nachthemd, ohne irgend etwas mitzunehmen,
verließ sie das große Eckhaus für immer.
Am folgenden Tag ging
Esteban zu Pater Antonio und
erzählte ihm, ohne auf Einzelheiten einzugehen, was geschehen
war. Der Priester hörte ihm zu, milde und mit dem unbewegten
Blick eines Mannes, der die Geschichte früher schon einmal
gehört hat. »Was kann ich für dich tun, mein Sohn?« fragte er,
als Esteban zu sprechen aufhörte.
»Ich möchte, daß Sie meiner Schwester jeden Monat einen
Umschlag zukommen lassen, den ich Ihnen einhändigen werde.
Ich will nicht, daß sie finanzielle Schwierigkeiten hat. Und ich
betone, daß ich es nicht aus Liebe tue, sondern um ein
Versprechen einzulösen.«
Pater Antonio nahm seufzend den ersten Umschlag entgegen
und setzte zu einem Segen an, aber Esteban hatte sich schon
zum Gehen gewandt. Clara gab er keinerlei Erklärung zu dem,
was zwischen ihm und seiner Schwester vorgefallen war. Er
sagte ihr, daß er sie aus dem Haus geworfen habe, daß er ihr,
Clara, verbiete, je wieder ihren Namen in seiner Gegenwart zu
nennen, und wenn sie einigen Anstand hätte, meinte er, solle sie
das auch hinter seinem Rücken nicht tun. Férulas Kleider und
alle Gegenstände, die an sie erinnern konnten, ließ er entfernen.
Sie war für ihn tot.
Clara begriff, daß es zwecklos war, ihm Fragen zu stellen. Sie
ging in ihr Nähzimmer und holte das Pendel hervor, dessen sie
sich zu Konzentrationsübungen und zur Verständigung mit den
Geistern bediente. Sie breitete einen Stadtplan auf dem Boden
aus und hielt das Pendel im Abstand von einem halben Meter
darüber, in der Hoffnung, der Ausschlag werde ihr die Adresse
ihrer Schwägerin anzeigen, aber nachdem sie den ganzen
Nachmittag damit zugebracht hatte, begriff sie, daß dieses
System nicht funktionieren konnte, wenn Férula keinen festen
Wohnsitz hatte. Angesichts der Wirkungslosigkeit des Pendels
fuhr sie im Wagen ziellos durch die Stadt, hoffend, ihr Instinkt
werde sie leiten, aber auch das führte zu keinem Ergebnis. Sie
befragte den dreibeinigen Tisch, ohne daß ein ortskundiger Geist
erschienen wäre, um sie auf verschlungenen Pfaden zu Férula zu
geleiten. Sie rief sie in Gedanken und erhielt keine Antwort, und
auch die Tarotkarten brachten ihr keine Erleuchtung.
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