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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Diccionario de la Real Academia de la Lengua
Española die hintergründigen Bedeutungen verbotener Wörter
oder das System der Herzgefäße auf einer farbigen Abbildung,
auf der ein Mann, gehäutet, aber in Unterhosen, mit allen seinen
Adern und seinem Herzen zu sehen war. Innerhalb weniger
Wochen lernte der Junge lesen und las mit Feuereifer. Zu zweit
betraten sie die weite und tiefe Welt der unmöglichen
Geschichten, der Gno men, der Feen, der Schiffbrüchigen, die
einander auffraßen, nachdem sie das Los geworfen hatten, der
Tiger, die sich aus Liebe zähmen lassen, der faszinierenden
Erfindungen, der geographischen und zoologischen
Kuriositäten, der Länder des Orients, wo Geister in Flaschen
gesperrt werden, Drachen in den Höhlen hausen und in den
Türmen gefangene Prinzessinnen sitzen. Oft besuchten sie Pedro
Garcia den Alten, dessen Sinne mit der Zeit stumpf geworden
waren. Er wurde langsam blind, ein hellblaues Häutchen
überzo g seine Pupillen, »die Wolken sind mir in die Augen
gekommen«, sagte er. Er freute sich über die Besuche Biancas
und Pedro Terceros, der sein Enkel war, wenngleich der alte
Mann das längst vergessen hatte. Er hörte sich die Geschichten
an, die sie aus den magischen Büchern für ihn aussuchten und
die sie ihm ins Ohr schreien mußten, weil ihm der Wind in die
Ohren gefahren war, wie er sagte, und ihn taub gemacht hatte.
Danach brachte er ihnen bei, wie man sich gegen die Stiche
giftiger Tiere immunisiert, und setzte sich einen lebenden
Skorpion auf den Arm, um ihnen die Wirksamkeit seines
Gegengifts zu beweisen. Er zeigte ihnen, wie man Wasser sucht.
Man mußte eine trockene Astgabel fest an beiden Enden fassen
und im Gehen den Boden mit ihr berühren, schweigend und in
Gedanken an das Wasser und den Durst des Holzes nach
Wasser, bis die Gabel, wenn sie die Feuchtigkeit spürte,
plötzlich zu zittern begann. »An dieser Stelle muß man graben«,
sagte der Alte, aber, fügte er hinzu, seine Methode, auf den Drei
Marien Wasser zu finden, sei das nicht. Seine Knochen hätten so
großen Durst, daß sein Gerippe ihm unterirdisches Wasser auch
in großer Tiefe noch anzeige. Er zeigte ihnen die Kräuter auf
dem Feld, die sie beriechen, schmecken und tasten mußten,
damit sie ihren na türlichen Duft, ihr Aroma und ihre Textur
kennenlernten und jedes bestimmen konnten und wußten,
welches das Gemüt beruhigt, welches teuflische Einflüsse
austreibt, welches die Augen hell macht, welches den Bauch
kräftigt, welches das Blut anregt. Sein Wissen auf diesem Gebiet
war so groß, daß der Arzt im Spital der Nonnen ihn gelegentlich
aufsuchte, um ihn um Rat zu fragen. Doch all sein Wissen
reichte nicht aus, um seine Tochter Pancha vom innerlichen
Brand zu heilen. Er gab ihr Kuhfladen zu essen, versuchte es, als
das nicht wirkte, mit Roßäpfeln, er wickelte sie in Decken und
ließ sie das Übel ausschwitzen, bis sie nur noch Haut und
Knochen war, er rieb sie mit einer Mischung aus Branntwein
und Schießpulver ab, alles vergebens. Pancha starb an einer
anhaltenden Diarrhöe, die ihr Fleisch entwässerte und sie
unstillbaren Durst leiden ließ. Mit seiner Weisheit am Ende, bat
Pedro Garcia den Patron, seine Tochter auf dem Wagen ins Dorf
bringen zu dürfen. Die zwei Kinder begleiteten ihn. Der Arzt im
Spital der Nonnen untersuchte Pancha gründlich und sagte dem
Alten, sie sei unrettbar verloren. Hätte er sie ihm früher gebracht
und sie nicht so maßlos schwitzen lassen, hätte er noch etwas für
sie tun können, jetzt aber könne ihr Körper keine Flüssigkeit
mehr behalten, sie sei wie eine Pflanze mit verdorrten Wurzeln.
Pedro Garcia war tief gekränkt und leugnete seinen Mißerfolg
auch dann noch, als er in Begleitung der zwei verstörten Kinder
mit der Leiche seiner Tochter zurückkam und sie, schimpfend
auf die Unwissenhe it der Ärzte, auf dem Hof der Drei Marien
ablud. Sie wurde auf dem kleinen Friedhof neben der
verlassenen Kirche am Fuß des Vulkans beerdigt, an einer
besonderen Stelle, da sie in gewisser Weise die Frau des Patrons
gewesen war, hatte sie ihm doch den einzigen Sohn geschenkt,
der, wennschon nicht seinen Vaternamen, so doch seinen
Vornamen trug, und einen Enkel, den seltsamen Esteban García,
der in der Geschichte der Familie Trueba eine so schreckliche
Rolle spielten sollte.
Eines Tages erzählte Pedro Garcia der Alte Bianca und Pedro
das Märchen von den Hennen, die sich gegen den Fuchs
zusammentun, weil der jede

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