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Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Fuchs
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hinter der dicken Wolkendecke sehen. Ewald reckte seine steifen Glieder und sah besorgt zu Gretlin. Sie saß noch genauso unbewegt da wie gestern. Die Augen halb offen, die angewinkelten Knie fest mit den Armen umschlossen, kauerte sie in einer Ecke des Verschlages. Der warme Umhang, den Ewald ihr zwischen den Holzstäben hindurchgezwängt hatte, lag noch genauso verknüllt da wie gestern. Gretlin tat nichts, gar nichts. Sie gab keinen Ton von sich, sie sprach nicht, sie regte sich nicht. Wenn er nicht das leichte Heben und Senken ihres Brustkorbes wahrgenommen hätte, wäre Ewald überzeugt gewesen, es mit einer Steinsäule zu tun zu haben. Er sah auf und blickte durch die Gitterstäbe auf die andere Seite des Platzes Richtung Wipplingerstraße, wo sich das Rathaus befand. Plötzlich sah er sie. Gleich einer graubraunen, schlammigen Woge arbeitete sich eine grölende Menschengruppe schnellen Schrittes heran, allen voran der Henker, der wie in jeder größeren Stadt auch in Wien Todesstrafen öffentlich zu vollziehen hatte. Fast im selben Augenblick ein ähnliches Bild auf der anderen Seite, vom Lichtensteg her kommend, allen voran die Schergen und – Ewald konnte es nicht fassen – ein Pfarrer. Mit Rufen und Schreien kündigte sich auch hier eine Welle raubeinige, in grobe Umhänge gehüllte Masse an. Der Abstand zwischen den beiden Gruppen verringerte sich zusehends, bis etwa vier Dutzend Menschen unter lautem Gebrüll die Schranne erreicht hatten. Wie ein dampfender Lavastrom ergoss sich die Menge zu beiden Seiten des Narrenköttls. Ewald war umringt von schweißnassen Gesichtern mit roten Wangen vor Aufregung. Geballte drohende Fäuste begleiteten jede seiner Bewegungen, und nicht enden wollendes Gejohle der Männer und unentwegtes Kreischen der Frauen drangen an sein Ohr.
    Viele waren heute mitgekommen, an diesem kalten Novembertag, hatten ihr armseliges Hab und Gut, die Häuser und Schuppen der Stadt kurzfristig den Alten und Kindern überlassen und hatten sich auf den Weg zur Schranne gemacht, um dabei zu sein, wenn eine sündig gewordene Büßerin in den Fluten der Donau ertränkte wurde. Aber die rechte Gaudi begann schon jetzt, denn auf dem Weg zum Wasser wollte man so richtig die Sau herauslassen! Schmutzig sind sie alle und gefährlich, dachte Ewald und rückte näher an das Gitter. Greise, die in abgetretenen Latschen nur mehr humpeln konnten, Männer, deren lange Haare verfilzt bis zur Schulter reichten, Frauen, deren derbe Hauben fett und fleckig vom Gesicht abstanden, und Jungfrauen, die verwahrlost und mit ungekämmten Flechten sich hysterisch und unkontrolliert die Seele aus dem Leib plärrten.
    Erregt und angriffslustig musterten sie einander, warteten darauf, dass man die Büßerin aus dem Köttl zog. Wie Funken sprühte es aus den verklebten, gelblichen Augen und Anfeuerungsrufe: »Holt sie! Holt sie!«, schienen sich auszubreiten wie ein Flächenbrand.
    So eine heruntergekommene und verlotterte Bande, die sich hier versammelt hatte, dachte Ewald, und es wurde ihm mit einem Mal bewusst, dass das auch Wien war, nicht nur die glänzenden Empfänge in der Herzogsburg, die erbaulichen Messen im Dom, die er bis jetzt mit diesem, seinem Lieblingsort, verbunden hatte. Aus welchen Löchern nur sind diese derben Leute gekrochen, fragte er sich, und wo waren sie sonst, wenn keine Hinrichtung ihr trauriges Dasein erhellte? Aber wo, wo in Gottes Namen war Sander? War der Schaunberger doch nicht gekommen, war der Herzog unzugänglich, konnte Sander all sein Einfluss bei Hof nicht helfen?
    Mitten in das lauter werdende Gebrüll drang ein lang anhaltender Ton aus einem Horn über den weiten Platz. Sofort verebbte der Lärm, und die braungraue Masse teilte sich brav zu beiden Seiten, trat in den Hintergrund, ließ Raum für die Schergen des Henkers. Alle schauten gebannt auf Gretlin, die, als sich der Henker am Riegel ihres Verschlages zu schaffen machte, unruhig umsah und dann blitzartig auf die Füße sprang. Der etwa 30 Lenze zählende Mann unterschied sich sehr von der ihn umgebenden Meute. Seine Beinkleider waren nicht lose, sondern eng anliegend. Seine Beinlinge endeten in einem gemusterten Aufschlag direkt unter dem Knie und steckten in schwarzen spitzen Lederschuhen. Prächtig legte sich ein fellgefüttertes Wams um seine breiten Schultern, und die geschlitzten Ärmel ließen einen Blick auf ein weißes Leinenhemd zu. Die Haare trug er kurz geschnitten. In einer Hand hielt er eine Hacke, mit der er

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