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Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Fuchs
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den Boden schmiss, machte der andere sich bereit, Gretlin, die nur mehr in ihrem Untergewand dastand, an Händen und Füßen zu fesseln. Ewald sah sich mit Ekel um. Alle Augen folgten der Bewegung des Knechtes. Männer leckten sich mit der Zunge vor Aufregung über rissige Lippen, Mädchen spielten geistesabwesend mit dem Zipfel ihrer verfilzten Zöpfe, Frauen drehten nervös am schmutzigen Band ihrer Hauben. Jeder wartete, reckte seinen Hals und stützte sich am Vordermann ab, um im richtigen Augenblick hochspringen zu können und einen unverstellten Blick auf ein möglichst aufgelöstes, schreiendes und um sich tretendes Frauenzimmer zu erhaschen. Doch wieder enttäuschte Gretlin die Menge, sie hielt den Kopf gerade und ließ die grobe Behandlung widerstandslos über sich ergehen. Ewald folgte ihrem Blick und wurde nicht enttäuscht. Es war, wie er erwartet hatte: Yrmel stand in unmittelbarer Entfernung und hielt ihre Augen fest auf Gretlin gerichtet. Da – blitzschnell schleuderte der elegant wirkende Henker mit all seiner Kraft den gereichten Sack in die Luft, um im selben Augenblick den Schergen das Zeichen zu geben, die gefesselte Gretlin zu heben und mit den Füßen voran in den Sack zu stecken. Er benahm sich wie ein Scharlatan, ein Zauberer, der den Leuten eine ganz große Sensation zu bieten hatte. Das kam für Ewald alles so unerwartet, dass er die leise beginnenden und bis zur Unerträglichkeit laut anschwellenden vielstimmigen Rufe der Meute »Ersaufen! Ersaufen!« überhaupt nicht wahrnahm. Er sah nur die hellblauen Augen Gretlins, die aufgerissen und starr wie große Löcher in einem schneeweißen Antlitz brannten. Wie lang nur würde die Anwesenheit Yrmels ihr die nötige Kraft geben? Ewald begann zu weinen, lautlos schüttelte ein Schluchzen seinen breiten Brustkorb. Noch nie in seinem abenteuerlichen Leben hatte er sich so hilflos gefühlt, noch nie musste er sich dermaßen geschlagen geben, niemals dachte er, dass ein solches Ausmaß an Verzweiflung Besitz von ihm ergreifen konnte. Doch plötzlich hörte er eine bekannte, quengelige, aufgedrehte Stimme an seinem Ohr: »Jetzt lasst uns da amal durch, geht’s auf d’ Seitn!« 24 , tönte es, und etwa ein Dutzend Büßerinnen unter der lautstarken Führung von Schwester Magdalena Apolonia passierten die Menge rund um Gretlin und den Henker, erklommen die Lange Brücke und nahmen Aufstellung. Schmutzverkrustete, verschwitzte Gesichter neigten sich nach oben, und viele haarige Arme, ungewaschene Hände und Finger mit schwarzumrandeten eingerissenen Fingernägeln streckten sich den Büßerinnen entgegen. Einer der Männer begann zu johlen. »Wos wird des jetzt, wann’s fertig is?« 25 Ein anderer antwortete lachend: »Vielleicht haben’s noch a paar Sündige mehr unter eana, de Weibsn do! Amal a Hur, imma a Hur!« 26 Verdutzt hielten die Knechte und der Henker inne und sahen ebenfalls nach oben, wo Marlen gerade ihre Arme ausbreitete, sich den Büßerinnen zuwandte und gleich einem Dirigenten den Einsatz gab.
    Da erklang vielstimmig der Beginn einer Deutschen Hymne. Jede der Büßerinnen interpretierte das Gotteslob auf eine ihr eigene Art und Weise, was nicht unbedingt einem harmonischen Vortrag dienlich war. Martha sang mit einer Altstimme etwas zittrig, Wuckerl quietschte ein paar Töne, weil sie vor lauter Schluchzen keinen Ton halten konnte, und die Schwester Vikarin krähte wie ein altersschwacher Zwerghahn auf dem Mist. Unbeeindruckt von dem misstönenden Gejaule dirigierte Marlen mit weit ausgreifenden Gesten und feuerte ihren zweifelhaften Chor mit Rufen an, wie: »Ja, zeigt es nur den Stinkerten da unten, wie fromm man bei uns in Sankt Hieronymus ist!« 27 Pflichtschuldigst begannen die Büßerinnen noch lauter zu krakeelen:

    Christ ist erstanden
    Von der Marter alle;
    Des solln wir alle froh sein,
    Christ will unser Trost sein.
    Kyrieleis. 28

    Die Menge johlte und pfiff. Ewald, unter normalen Umständen, hätte sich gebogen vor lauter Lachen, doch jetzt im Angesicht der bleichen Gretlin, die, nur den Kopf aus dem Sack haltend, starr ihrem Ende entgegensah, weinte Ewald weiter hemmungslos. Die durchwachte Nacht, die Gemeinheiten des Pöbels, Johannas Ausschank und die verzweifelten Versuche der Büßerinnen, Zeit zu gewinnen, forderten ihren Tribut. Der stets gut gelaunte, mit dem Leben zufriedene Ewald war am Ende seiner Kraft. Und weit und breit kein Sander in Sicht!

    Wär er nicht erstanden,
    So wär die Welt vergangen;
    seit dass

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