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Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)

Titel: Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Fuchs
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Milchgraben ein. Ursprünglich als Lagergraben gedacht, wurde er beim Bau der Stadtmauern einfach zugeschüttet und diente als Marktplatz für die Mehlhändler und Fleischverkäufer. Doch weil der Milchgraben direkt zum Dom Sankt Stephan führte, dauerte es nicht lang, und prunkvolle Bürgerhäuser wurden errichtet. Gretlin staunte über die oft zwei Stockwerke hohen Steinbauten. Der Freisingerhof, der aussah wie eine romanische Burg, der Besitz des Goldschmieds Auerhaimer, das ›Haus zum Goldenen Kopf‹ genannt wurde, oder das Haus vom Schneider Kronberger, das die Wiener ‹Zum Hund im Korb‹ nannten. Elsbeth und Dorthe sahen sich nickend über den Kopf von Gretlin an, und Dorthes Blick schien zu sagen: »Keine Sorge Elsbeth, es wird gutgehen!«
    Mittlerweile war das Volk vom vielen Warten und vor allem vom Schauen schon ganz überdreht, und immer wieder kam es am Rande zu Handgreiflichkeiten und kleinen Raufereien. Auch der Wein, der an allen Plätzen der Stadt ausgeschenkt wurde, hatte sein Übriges getan, und viele der umstehenden Männer waren schon ziemlich angetrunken. »Ha schau, da kommen sie«, rief einer, als er die Gruppe der Hübschlerinnen entdeckte. »Ja, die Huren kommen, da schaut’s«, rief ein anderer. Lachend drehten sich Fronika und Trude um die eigene Achse und winkten den Männern zu. Mit eindeutigen Gesten gaben sie ihnen zu verstehen, dass sie auch durchaus mehr zu geben bereit waren als nur einen schönen Anblick. Mit Geschrei und Gejohle rannten die Männer hinein in den Festzug und schnappten sich die beiden erstbesten Dirnen, deren sie habhaft werden konnten. Sie zerrten die schreienden und um sich tretenden Weiber weg von der Straße in die nächste dunkle Gasse. Die umstehenden Leute lachten, und ein alter Mann mit runzligem Gesicht meinte: »Die können wohl das Dankgebet zu Sankt Stephan gar nicht mehr abwarten und müssen vorher schon einen draufmachen!« Kichern und anzügliches Grinsen waren die Antwort. Der Festzug zog sich weiter dahin, als wäre nichts geschehen. Wien als Stadt des Weines und als Stadt der Liebe wurde ihrem Ruf gerecht. Lautes Lachen, großes Durcheinander, Raufereien und Taschendiebstähle begleiteten den Weg der frisch Angetrauten.
    In all dem Prunk schleppte sich ein junges Mädchen allein dahin. Nicht Beherrschung allein ließ sie ihre Tränen zurückhalten, vielmehr verhinderte der erlittene Schock, dass sie hemmungslos zu schluchzen begann. Nicht Frohsinn und Lebensfreude waren an ihrer Seite, sondern Angst und Beklemmung. Gretlin war plötzlich allein. Es waren Dorthe und Elsbeth gewesen, die man links und rechts von ihr weggerissen und in die dunkle Gasse gezerrt hatte. Wie betäubt ging das Mädchen weiter, fühlte sich mutterseelenallein in der Menschenmenge und konnte nicht einmal erahnen, in welch großer Gefahr sie schwebte. Sie konnte nicht wissen, dass genau das, was ihr heute die größte Freude bereitet hatte, unweigerlich ihr Verderben bedeuten konnte. Munter flatterte es im Wind, das gelbe Tüchel, das sie in Wien zum Freiwild und zu jedermanns Eigentum machte.

    *

    »Hast du den da gesehen?« Ärgerlich klopfte sich Sander auf sein grünsamtenes Wams, das mit Perlen und Silberfäden bestickt war.
    »Der rempelt mich einfach an, na hast du den jetzt gesehen oder nicht?«
    »Nein, hab ich nicht, wen meinst du?«, antwortete Ewald abwesend und betrachtete interessiert eine Gruppe von Tänzern, die den wartenden Festgästen vor dem Dom die Zeit vertreiben sollten.
    »Na, den mit dem stinkenden Tier an der Kette«, entrüstete sich Sander, »als würde es in dieser Stadt nicht schon genug stinken!« Missmutig betrachtete er seine Schnabelschuhe, die seitlich mit Schlamm verunziert waren.
    »Schau dir meine Schuhe an, Ewald!«
    »Ja dann hättest du so wie ich die Holzpantoffeln darüber ziehen sollen, dann wären sie jetzt nicht verdreckt.«
    »Mit diesen Trippen stelze ich auf dem verfluchten groben Pflaster wie ein Storch auf der Sumpfwiese.«
    Gleichgültig zuckte Ewald die Schultern und sah dem Bärenführer nach, der Sander angeblich angerempelt haben sollte.
    »Das soll eine herausgeputzte Straße sein, siehst du die Lachen am Rand, wenn ich nicht aufpasse, dann spritzt mir der Unrat auf meine Beinlinge.« Damit strich er sich über seine weinroten Strumpfhosen und kontrollierte, ob sie auch fest genug an seinem Wams befestigt waren.
    Ewald verdrehte die Augen.
    »Nein, jetzt hat mir doch tatsächlich so eine blöde Taube auf meine

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