Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
ihren Blick auf die geladenen Gäste, die bereits ungeduldig auf das Trompetensignal warteten. Und sie waren alle gekommen, die bedeutenden Persönlichkeiten. Nachdem Albrecht III. sich in Wien niedergelassen hatte, ließ die Hofgesellschaft nicht lang auf sich warten. Zu wichtig war es, dem Habsburger nahe zu sein und seinen Einfluss für den eigenen Geldsäckel zu nutzen. Begehrt waren dabei die Hofämter, die hohes Ansehen und sicheres Einkommen versprachen.
Hofkämmerer Michael Hirssmann scharrte mit seinen Schnabelschuhen ungeduldig in den Fugen des Granitpflasters. Er mochte nicht mehr warten und sich vom Volk anstarren lassen. Genauso ungeduldig gebärdete sich sein Hengst. Ausgestattet mit einer purpurfarbenen Decke, wurde er von einem vor Anstrengung schwitzenden Stallburschen gehalten. Er tänzelte dennoch nervös herum, blähte seine Nüstern, erschrak vor dem kleinsten ungewohnten Geräusch – und die gab es hier zuhauf – und hätte fast der Gattin des Marschalls, Eleonore Puchheim, die reiche Haube von dem mit der Brennschere gebändigten Haar gestoßen. »Ja kannst nicht aufpassen, Depp ungehobelter, bleder Aff!« Gänzlich undamenhaft versetzte sie dem Burschen eine Ohrfeige, was wiederum Michael Hirssmann erzürnte: »Sag deinem Weib, Puchheim, dass wir nicht auf dem Bauernmarkt stehen, sondern auf einer Herzogshochzeit. Auch wenn es ihr schwerfällt, sollte sie sich wenigstens den Anschein einer edlen Dame geben!« Puchheim, der ziemlich verlegen an seinem Gürtel herumnestelte, schoss giftige Blicke zu Hirssmann und zischte seiner Frau zu: »Benimm dich!« Worauf Eleonore mit einer weiteren Ohrfeige konterte, dieses Mal traf die Furie ihren Mann. Die Umstehenden brüllten vor Lachen.
Der herzogliche Mundschenk Sägebrecht wiederum stand in Gedanken versunken da und polierte abwesend seine ohnehin schon funkelnden Silberknöpfe an seinem Wams. Er hoffte inständig, dass das Küchenpersonal und die Kellermeister seine letzten Anweisungen für das anschließende Festmahl befolgten und ihn vor dem Herzog und der frisch angetrauten Gattin nicht bis auf die Knochen blamierten. Wie schwer war es in Wien, an gutes Personal zu kommen. Beatrix vom Nürnberger Hof war da sicher Besseres gewohnt!
Nun, von den Sorgen und Nöten der geladenen Festgäste bekam das Mädchen im hellblauen Kleid freilich nichts mit. Sie sog das ganze Bild auf wie den Inhalt eines Bechers Holundersirups, ein seltener, ein ausnehmend anregender Genuss. Gretlins Blick schweifte weiter über eine Gruppe von Geistlichen, die krampfhaft vermieden, die Hübschlerinnen auch nur anzusehen. Doch wie Fronika immer sagte: »Wo viel gebetet wird, da wird auch viel gevögelt«, und die Mehrzahl der Frauen kannten nicht nur die Gesichter der Geistlichen, sondern etliche Körperteile mehr und die noch dazu ohne Hülle. Jetzt freilich standen sie im Festzug, die Schotten, die ja eigentlich aus Irland kamen, die Minoriten, Dominikaner und Augustiner Eremiten. Gefolgt von den Ritterorden, den Templern, Johannitern und dem Deutschen Orden. Gretlin freilich kannte keinen der Namen, wusste nichts über die Ordenszugehörigkeiten. Für sie zählten nur der Prunk und das eigenartige Gewand der Menschen. Sie staunte über die schwarze Kukulle und die spitze Kapuze der Augustiner, über das weiße Gewand mit dem schwarzen Kreuz der Deutschen Ordensritter und über das hellblaue ›T‹, das die Antoniter, die das Spital vor dem Kärntnertor leiteten, auf ihrer Kleidung trugen. Sie konnte den Blick von dieser Stadt, die sich heute zu Ehren Albrechts III. und seiner Braut Beatrix auf das Glänzendste herausgeputzt hatte, kaum abwenden. Wie spannend das alles war! Erst jetzt wusste sie, welch armseliges Leben sie unten am Wienfluss geführt hatte, eingesperrt im engen Haus, nur hier und da draußen zum Luftschnappen. Ganz außer sich vor Freude drückte sie den Arm Elsbeths und rief ihr mit lauter Stimme zu, um den Lärm um sie herum zu übertönen: »Danke, Elsbeth, danke für diesen schönen Tag. So wunderbar wie heute hab ich mich noch nie gefühlt!« Unsicher lächelte Elsbeth, traurig und glücklich zugleich. Wie leicht war es doch, diesem Mädchen eine Freude zu machen, wie sehr lebte sie bisher am Glück vorbei, dachte sie.
»Schau nur, Elsbeth, die schöne Straße!«, rief das Mädchen und deutete auf ein frisch verlegtes Pflaster zu ihren Füßen. Die Überleger aus Nürnberg hatten ganze Arbeit geleistet und gerade noch rechtzeitig zur
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