Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
dir eine Hübschlerin gebracht, die Stadtguardia …«, murmelte Barthel weiter.
»Schaut so aus«, meinte Johanna leise, »wieder so ein armes Ding, das nicht weiß, wo oben und unten is!«
Das Mädchen starrte weiter auf die Tischplatte, es bewegte sich nicht, nur seine Finger krallten sich in das Fell des Hundes, der weiter zu seinen Füßen saß und sich fest an seine Beine drückte. Johanna betrachtete das Vieh mit Abscheu, sein graubraun verklebtes Fell, seine wässrigen Augen, seine mit Kot verschmierten Flanken. Doch noch einmal getraute sie sich nicht, den Hund vom Mädchen wegzuzerren, zu frisch war die Erinnerung an den markerschütternden Schrei von vorhin. Aber irgendetwas musste ja geschehen. Sie konnten nicht ewig schweigend hier herumsitzen!
So versuchte es Johanna vorerst auf die sanfte Tour, auch wenn sie das einige Überwindung kostete.
»Nun, Mädchen, sagst du uns, wie du heißt?« Keine Antwort.
Johanna versuchte es nochmals: »Ich bin die Johanna, das da drüben ist der Barthel, und die Yrmel ist auch da.«
Es war wieder still in der Küche, niemand sagte ein Wort. Als das Schweigen Johanna fast schon zu viel wurde und sie ansetzte, ihre Frage ein bisschen forscher zu wiederholen, hörte man ein zaghaftes Flüstern: »Gretlin. Ich heiße Gretlin.«
Barthel, Yrmel und Johanna nickten. »Ach, Gretlin also. Gut«, meinte Johanna.
Yrmel zeigte auf den Hund und blickte Gretlin fragend an.
»Der hat noch keinen Namen«, meinte sie.
»Kein Wunder«, murmelte Johanna unwirsch.
»Na, dann werden wir halt einen Namen finden für des Hunderl!«, meinte Barthel versöhnlich und tätschelte vorsichtig Gretlins Hand.
Johanna setzte bereits zu einer Schimpftirade an, hielt sich aber im letzten Moment zurück, als sie ein schüchternes Lächeln auf dem blassen Gesicht des Mädchens sah.
Barthel, dem das auch nicht entgangen war, setzte fast väterlich fort: »Wennst mich fragst, dann schaut er …«
»Sie«, unterbrach ihn Johanna unwirsch.
»Also der Hund …«, meinte Barthel.
»Das ist kein Hund, das ist eine Hündin, Barthel«, schimpfte Johanna.
»Jetzt kannst amal sehn, wie weit des für mich schon alles weg is, seit ich nur mehr Augen hab für dich, mei Hannerl! Net amal a Manderl kenn i von an Weiberl auseinand!« Schelmisch zwinkerte Barthel Johanna zu.
»Depp bleda!«, kam es postwendend zurück.
Yrmel kam inzwischen mit einem Topf Rosinen daher, zeigte sie allen und strich über das braune und verklebte Fell des Tieres.
»Ja, Yrmel, da hast recht, des Viech schaut aus wie eine Rosine. So eingetrocknet und verschrumpelt«, meinte Johanna.
»Genau, jetzt hob ich’s.« Damit tätschelte Barthel den Hund ziemlich grob, was den aber nicht zu stören schien.
»Weinberl wirst heißen. Des passt. Bei uns in Wien, do sagt ma net Rosine, da bist unser Weinberl!«
»Unser Weinberl … jetzt langt es aber!«, zischte Johanna.
Aber keiner hörte ihr zu, jeder horchte nur gebannt auf das leise Gekrächze, das vom Tisch her kam. Es war kaum zu glauben, aber Gretlin versuchte zu lachen, was ihr aber gründlich misslang. Vielmehr riss sie den Mund auf, verdrehte die Augen und gab ein paar hysterische Schluchzer von sich. Tränen rannen ihre Wangen hinunter, und wie unter starken Schlägen bäumte sie sich auf und sackte wieder zusammen. Sogleich waren Johanna und Yrmel an ihrer Seite und fingen die inzwischen unkontrolliert zuckende Gestalt auf. Keinen Moment zu früh, denn nach diesem Ausbruch sank das Mädchen ohnmächtig in sich zusammen.
*
Die frühe Morgenstunde erfrischte ihn. Er breitete die Arme aus und atmete tief. Er war allein, jetzt wieder, das Abenteuer war vorbei, hinterließ nur einen wonniglichen Nachgeschmack, mehr nicht. Er wusste, was er zu erwarten hatte, er kannte seine Berufung. Denn einsam lebt der Raubvogel, einsam und ungebunden. Wenn er unter die Menschen geht, dann muss er seine natürlichen Gewohnheiten und Absonderlichkeiten ablegen und sich wie ihresgleichen gebärden – so würde er es machen. Es drängte ihn, sich möglichst weit zu entfernen. Denn schrecklich war es, ins Antlitz der Menschen zu schauen, fürchterlich, sich ansprechen zu lassen. Und doch zog es ihn in den Bannkreis alles Menschlichen. Nur die Erinnerung an die letzte Nacht gab ihm die Kraft, sich der grausamen Welt auszusetzen. Nur der Glaube an seine Allmacht und Wichtigkeit gab ihm das Gefühl, allem Ungemach gewachsen zu sein. Nur so hielt er es aus unter den Menschen. Nun musste
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